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Alessandro Manzoni, Die Verlobten

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Publiziert von Manesse, Bibliothek der Weltliteratur, 1950

 

Manche Bücher werden irgendwann zur Schullektüre erwählt. In Deutschland ist diese zweifelhafte Ehre Goethes „Faust“ zuteil geworden, in Italien Alessandro Manzonis (1785-1873) „Die Verlobten“. Der Schriftsteller und Wissenschaftler Umberto Eco kommentierte einmal: „Ich liebe diesen Roman, weil ich das Glück hatte, ihn das erste Mal zu lesen, bevor ich in der Schule damit gequält wurde.“ Wer also kein Schultrauma zu überwinden hat, der darf, ja muss ohne Sorgen zu diesem wundervollen Buch greifen!

Die Handlung ist nicht kompliziert: Zwei junge Leute, Renzo und Lucia, sind einander versprochen. Sie leben in den 1620er Jahren in Norditalien. Der lokale Adlige Don Rodrigo findet Lucia selbst so reizend, dass er ihr nachstellt, sie flieht in ein Kloster, Renzo verschlägt es vom Comer See nach Mailand. Nach längeren Irrungen und Wirren kommt das Liebespaar zusammen und heiratet. Es gibt also sogar ein Happyend erster Güte.

Manzoni ist ein Meister darin, diese auf den ersten Blick relativ schlichte Handlung mit Leben zu füllen und sie gekonnt zu inszenieren mit Beschreibungen, die einem Filmdrehbuch dienen könnten. Wer die ersten Abschnitte liest, fühlt sich wie auf einer Kamerafahrt: Vom Himmel hinunter zum Comer See, über die Brücke ins Dorf, bis er dem Dorfgeistlichen bei dessen Abendspazierung über die Schultern blickt und sieht, wie Don Abbondio Kieselsteine an Mauern kickt …

In historischen Exkursen beschreibt Manzoni stilistisch brillant beispielsweise in allen Details die Pest. Klar durchdacht und ausgefeilt formuliert sind auch die Schilderungen des Mailänder Brotaufstandes, der nach einem erneuten Anstieg des Brotpreises ausgebrochen war und in den der junge Renzo gerät.

Anders als damals gefragt lieferte Manzoni keinen romantischen Mittelalterroman, sondern ein schonungsloses Sittengemälde der Zeit der „Versklavung“ Italiens durch die Spanier. Als glühender Verfechter eines italienischen Nationalstaates sah Manzoni in „Die Verlobten“ seinen Beitrag zu diesem Kampf. Er wollte für das Volk schreiben. Das Volk musste ihn aber auch verstehen. Nur wie? Man sprach Dialekt – oder Französisch. Das von Dante und Boccaccio aus dem florentinischen Dialekt geschaffene Italienisch war eine reine Literatursprache, die nicht allgemein verbreitet war. Manzoni wagte es dennoch. Aus einer ersten Ausgabe seines Werkes tilgte er die verbliebenen „lombardischen Elemente“ und gab 1840 bis 1842 endlich in drei Bänden „Die Verlobten“ in einer rein hochitalienischen Fassung heraus. Ein gigantischer Erfolg! Kein anderes literarisches Werk des 19. Jahrhunderts konnte in Italien mit diesem Roman konkurrieren. Selbst Goethe war so begeistert, dass auf seine Empfehlung gleich zwei deutsche Übersetzungen erschienen.

Zu Manzonis Leidwesen kannte seine Zeit noch kein Urheberrecht, so dass der Autor tatenlos zusehen musste, wie andere durch Raubdrucke den Reibach machten. Manzoni konstatierte: „Von der ersten Ausgabe kann ich annehmen, dass vierzig Auflagen gemacht worden sind, davon eine von mir, in tausend Exemplaren; die anderen dürften sich auf 59000 belaufen haben. Das heißt, ich habe nur ein Sechzigstel der Einnahmen erhalten.“ Er beschloss, eine Neuauflage mit aufwändigen Stichen zu illustrieren. Das machte ihm tatsächlich keiner nach – die Druckkosten waren exorbitant, so dass Manzoni am Ende wieder kein finanzieller Erfolg beschieden war. Doch der gläubige Katholik wird sich mit der Moral getröstet haben, die seine Protagonisten aus dem Erlebten ziehen: Unglück und Nöte kommen und gehen, sie können aber „durch das Vertrauen in Gott gemildert und für ein besseres Leben nützlich gemacht werden“.

 

Björn Schöpe

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