Bienenhonig aus Löwenkadavern und pfeilschießende Stachelschweine: emblematische Bilderrätsel des 16. Jahrhunderts auf Münzen aus Frankreich und Ferrara
In der Renaissance liebte die gelehrte Oberschicht verzwickte Rätsel. Man nannte solch einen Rebus «Emblem». Dieser Podcast zeigt, wie man diese Rätsel damals löste.
Begleiten Sie uns auf unserer Reise durch die Welt des Geldes. Heute machen wir Halt in der oberitalienischen Stadt Ferrara. Wir befinden uns zeitlich irgendwann zwischen 1505 und 1534 nach Christus.
Was für eine merkwürdige Darstellung! Da sitzt ein Mann mit einem Helm auf einem Feldherrnstuhl. In der rechten Hand hält er einen Löwenkopf, aus dem Bienen herausfliegen. Vor ihm steht ein Baumstumpf, um den sich eine Schlange windet. Was auf uns wie ein Bilderrätsel wirkt, war vom Schöpfer der Münze auch als Rätsel gedacht. Mit dieser Darstellung forderte er die gebildeten Zeitgenossen heraus.
Die Fachbezeichnung für so ein Bilderrätsel heißt Emblem. Ein Emblem ist ein Sinnbild, das aus drei Bestandteilen besteht: Aus einem Bild, aus einem Motto und aus der Erklärung. Schon zur Zeit ihrer Entstehung verstanden die meisten Zeitgenossen die Emblemata nicht. Deshalb verfassten gebildete Menschen Lexika, in denen die Rätsel eine Auflösung fanden.
Nehmen wir eine um 1500 n. Chr. von Ludwig XII. von Frankreich herausgegebene Münze als Beispiel. Sie zeigt ein Stachelschwein. Darüber ist eine Krone abgebildet. Was das bedeuten soll, ist nicht sofort verständlich.
Wer die Bedeutung erfahren wollte, schlug in einem Lexikon nach. Dort fand er zu den Bild ein Motto: Cominus et eminus. In Übersetzung: Von Nah und Fern, was die Sache immer noch nicht klarer macht.
Erst der Sinnspruch deutete Motto und Bild: Wie das Stachelschwein sich im Nahkampf und aus der Distanz mit seinen Spießen wehrt, so soll ein guter König in Tat und Rat stark sein.
Ludwig XII. verkündete mit dem gekrönten Stachelschwein also seine Vorstellung von einer guter Regierung: Ein wahrer König müsse jeden Entschluss sorgfältig überlegen, dann aber bei der Umsetzung tatkräftig vorgehen.
Man könnte sich nun wundern, wie so ein armes Stachelschwein sich auf Distanz mit seinen Stacheln wehren soll. Doch der gebildete Mensch hatte damals den Physiologus gelesen, eine unerschöpfliche Quelle für nicht verifizierbares Wissen über Tiere, die damals die wenigsten Menschen lebendig gesehen hatten. Und der Physiologus schrieb eben, dass das Stachelschwein seine Stacheln wie Pfeile fortschleudern könne.
Über die Biene weiß der Physiologus zu berichten, dass sie ein fleißiges Wesen sei, das gemeinschaftlich große Dinge tun könne. Bei Ovid stand zu lesen, dass die Biene keusch lebe. Ihre Fortpflanzung geschehe auf eine merkwürdige Weise:
Man müsse einen Stier töten, ohne sein Blut zu vergießen, und ihn in einem verschlossenen Haus lagern. Wenn man nach drei Wochen die Türe öffne, entflöge dem Kadaver ein Bienenschwarm.
Diese Berichte kannten der Schöpfer dieses Emblems und alle, die es betrachteten. Die Kenntnis der klassischen Autoren gehörte für einen gebildeten Menschen zum Allgemeinwissen - genauso wie das alte und das neue Testament. Darin fand sich die Geschichte von Samson und dem Löwen. Samson erschlug einen Löwen, in dessen Kadaver er später einen Bienenstock fand. Den süßen Honig brachte er seinen Eltern.
Aus diesen Motiven gestaltete Alfonso d’Este, der Auftraggeber dieser Münze, sein Emblem: Ein Krieger hält den Kopf des getöteten Löwen in der Hand, aus dessen Maul Bienen steigen. Darum steht das Motto geschrieben: DE FORTI DVLCEDO, übersetzt „Die Süße aus der Tapferkeit“.
Deuten könnte man das etwa so: Erst kommt der Krieg, und nach dem Sieg der süße Frieden. Die Schlange, die sich um den Baumstamm windet, steht dabei für die kluge Voraussicht, die der Herrscher walten lassen muss, um zum Frieden zu gelangen.
Wenn Alfonso d’Este nun Standesgenossen, Künstler und Schriftsteller an seinen Hof lud, mag er gelegentlich ihre Allgemeinbildung getestet haben, indem er ihnen eine solche Münze gab, und sie aufforderte, die Darstellung zu deuten. Wer sich dieser Aufgabe elegant entledigte, und dabei noch ein wenig Fürstenlob einstreute, der konnte sich der Protektion des Herrn von Ferrara sicher sein.
Der war nämlich freigebig und konnte sich das auch leisten. Alfonso d’Este hatte ein sehr schlagkräftiges Heer aufgebaut, das er ganz modern mit Feuerwaffen ausrüsten ließ. So gelang es ihm, seinem kleinen Herzogtum Ferrara die Unabhängigkeit von größeren Mächten zu erhalten. Er wurde zu einem begehrten Bündnispartner, der sogar vom Papst umworben wurde. Alfonso heiratete die berühmt-berüchtigte Papsttochter Lucrezia Borgia, aber deren Geschichte erzählen wir Ihnen vielleicht ein anderes Mal.