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Thesen, Themen und Begriffe zum Kompendium «Kulturtheorie des Geldes»

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1. Geld soll hier nicht als ökonomisches, sondern als ein kulturelles Phänomen betrachtet werden, wobei Ökonomie selbst ein Kulturphänomen ist.

Über Geld ist genug geschrieben worden. Es ist auch viel, vielleicht zuviel, darüber gesprochen worden. Es ist in aller Munde und in den hintersten Winkeln unsere Bewusst- und Unbewusstseine beheimatet. Nur erforscht wurde es kaum. Die Ökonomen haben zwar, als Techniker, ihren Beitrag geleistet; wissenschaftlich bleibt aber Geld eine Brache. Um es ernsthaft anzugehen, kann es nur als Kulturgegenstand behandelt werden, d.h. in seinem extensivsten Sinne. Das kulturwissenschaftliche Spektrum muss so weit wie möglich gefasst werden: historisch und faktisch. Der Begriff Kultur geht über den der Gesellschaft hinaus. Er behandelt alle geistigen und sachlichen Gebilde, zu denen die Menschheit je fähig gewesen ist. Deshalb sprechen wir hier von einer Kulturtheorie des Geldes.      

 

2. Wer die Moderne verstehen will, muss das wichtigste Medium, das sie getragen hat, nämlich das Geld, verstehen. Einer der wichtigsten Gründe, weshalb die Modernitätsforschung so oft und so gründlich im Dunkeln herum getappt ist, ist sicherlich ihre Vernachlässigung des Geldmediums.

Wir sind noch weit von einer ernst zu nehmenden Geldwissenschaft entfernt. So wichtig das Geld auch ist, und je wichtiger es in unserem Alltag und in den Gefügen unserer Gesellschaft werden wird,  es gab bislang noch  nicht (und wird es vermutlich in absehbarer Zeit nicht geben) keine Wissenschaft des Geldes. Die Fortschritte beim Verstehen des Geldes sind demnach minim. Sie sind nicht auf diesen einen Gegenstand fokussiert und deshalb nicht in der Lage, alle Recherchen zu koordinieren. Letzteres ist vermutlich das Grundübel. Einer der Zwecke dieses Kompendiums soll es auch sein, Ansätz zu einer solchen Koordination zu formulieren. Es gibt auf der Welt vielleicht zehn Wissenschafter oder Denker, die sich dieser Sache annehmen. Das ist ein wundersames Paradox. Es hat drei Gründe: 1. Glaubt man, es gäbe beim Geld nichts, bzw. fast nichts zu verstehen, 2. Glaubt man, die Wirtschaftswissenschaften hätten schon alles gesagt, was zu sagen war, 3. Erkennt man, wenn man das Phänomen näher betrachtet, wie schwerig es ist, es auf den Begriff zu bringen. Positionen 1 und 2 interessieren uns nicht. Doch Paradox 3 birgt eine neues Paradox: je näher man es betrachtet, desto schwieriger wird die Analyse. Man könnte es als umgekehrtes Liliput-Syndrom bezeichnen. Von weitem gesehen, ein unscheinbares Tauschwerkzeug, und je näher man an es heran kommt, desto mehr türmen sich die Schwierigkeiten.   

Quelques (bons) mots in eigener Sache. Als ich im Jahre 1983 meine Dissertation abschloss, die sich um eine historisch-systematische Analyse der Tauschformen befasste, sagte mir der Finanzwissenschaftler Alfred Meier, es sei nun an der Zeit, dass ich mich ums Geld bemühte. Ich antwortete forsch, wie ich damals war, dass es so geplant wäre. Hätte ich gewusst, was auf mich zukam, hätte ich vermutlich nicht so forsch geantwortet und wäre bei den Weisheiten meiner Berner Oberländer Ahnen geblieben: Zerscht mau luege. Da aber diese Oberländer ihr Schicksal mit aus Neapel geschassten Wucherern kreuzten, ist irgendwo in meinen Genen  eine gewisse Spekulationsfreude stecken geblieben – wohlan, nicht mit Geld und zum Glück nicht, sondern mit den Gedanken. So habe ich zwar nicht viel Geld verloren, wie meine Ahnen, aber vermutlich viel Zeit. Denn ich bin Fredi Meiers Rat treu geblieben und habe mich ums Geld bemüht. Redlich und sattsam. Ob sich die Liebesmüh gelohnt hat, davon soll dieses Kompendium berichten.  

 

Wir müssen zunächst die Begriffe klären. Moderne ist ein kulturelles Gesamtprojekt, das auf bestimmten Werten und Prinzipien des europäischen Humanismus beruht. Dieses Projekt hätte andere Formen ausbilden können als die – durch Kapitalakkumulation, Eigeninteresse, Privatbesitz an Produktionsmitteln und Reinvestition der Gewinne bestimmte – kapitalistische Moderne. Für lange Zeit war diese Form von Moderne nicht zwingend. Unsere These ist, dass sie es erst aber der “Schwellenzeit” der frühen 1970er Jahre wurde. Erst dann wurde aus ihr die “harte Moderne”. Vor dieser Schwellenzeit hätten andere Formen ausprobiert und durchgesetzt werden können. 

 

3. Die grösste Gretchenfrage ist natürlich: was ist Geld? Ich begnüge mich mit der einfachst möglichen Definition: Geld ist zum zahlen da. Punktum

 

Ja, aber heisst hier „zahlen“? Vorab man in kürzerer Zeit nur noch mit Elektronen zahlen wird. Wir können diese (banale) Frage gekonnt umgehen und mit einem seiner abstrakten (kulturtheoretischen Züge) Chrakterzüge beginnen. Geld ist der Inbegriff von Paradoxalität. Man kann zahllose Paradoxe aufzählen, so z.B.: Geld bindet, indem es trennt; aber gleichzeitig trennt es, weil es und indem es bindet. Geld trennt Freundschaften, Verwandtschaftsbande und enge Solidaritäten, aber gleichzeitig vereint es Menschen, Sachen und Sinne, die nicht zusammen gehören. Paradox 2: Geld wird um so mächtiger (in der Wirtschaft, in unseren Denkformen), je unsichtbarer es wird, und umgekehrt. Paradox 3: Geld gilt als wirtschaftlicher Begriff schlechthin, aber es verhält sich nach ganz anderen Gesetzen als die Wirtschaft, vor allem die Marktgesetze. Steigt ein Finanzaktivum, so steigt seine Nachfrage. Je höher das Kapital je höher dessen Rendite. Paradox 4: Too big to fail : grosse Geldschulden sind öffentliche Verpflichtungen, kleine Geldschulden sind Privatsache. – Paradoxe sind da, um entparadoxiert (D. Baecker) zu werden. Klingt schön. Aber gehören diese Paradoxe nicht einfach zur Natur des Geldes?  Nun, ich halte es für einen der grössten Fehler, Geld entparadoxieren zu wollen. Geld ist weder gut oder böse, weder schlecht oder recht; Geld ist immer beides zusammen. Und beides kann nicht getrennt werden. Es ist gut, weil es schlecht ist, und je besser es wird, desto schlechter wird ist, und umgekehrt. Geld ist ein Gegenstand, mit welchem nicht nur Paradoxe auszuhalten sind, sondern an welchem paradoxes Denken trainiert werden kann. Das törichste, was man tun kann, wäre demnach, fein säuberlich die Pros und Contras aufzulisten und einander gegenüber zu stellen. Das unterschlüge, dass jedes Pro nur durch ein Contra bestehen kann und umgekehrt. Man gestatte mir eine Denkklammer. Der Mensch ist ja selbst paradox, da er sowohl denkfaul wie unendlich neugierig ist. Also möchte er am liebsten alles ausprobieren, was mit dem Geld möglich ist, aber gleichzeitig sich nicht gross mit diesem paradoxen Gegenstand abmühen. Und auch das ist noch paradox: je weniger er seine Paradoxalität erkennt, desto universeller scheint ihm das Medium, desto mehr Magie lässt er ihm zuteil kommen. Und je besser diese „Magie“  erkennt, desto nüchterner kann er das Held betrachten. Ja, es ist zum verrückt werden, und Georg Simmel würde dem beipflichten.

 

Nun gut. Wenn wir in diesem Kompendium immer wieder kritische Töne anschlagen, dann muss doch daran erinnert werden, dass in einer freimarktwirtschaftlichen Ordnung Märkte nur über Geld effizient funktionieren können. Und da es sich gezeigt hat, dass Märkte Verteilungsmechanismen sind, die sich, historisch gesehen, am besten durchgesetzt haben, bildet das Geld eine unverzichtbare Institution moderner Gesellschaftsordnungen. Unverzichtbar in einem doppelten Sinne: es kann durch nichts anderes ersetzt werden und es kann in keiner Weise abgeschafft werden. In einer arbeitsteiligen Wirtschaft, die nicht auf Autarkie beruht, ist der Güteraustausch nur über ein Preissystem möglich, und es kann nicht genug betont werden, dass ein solches System bis auf weiteres nur über Geld funktionieren kann.  

 

4. Eine der grössten Offensiven des Kapitalismus’, womöglich massiver und von grösserer struktureller Bedeutung als jede andere Offensive (Kolonialismus, Industrialismus), ist heute angebrochen : es ist die Offensive zur Abschaffung des Bargeldes. Das hat kulturelle Konsequenzen, die befragt werden müssen.

Stichwort Bankenrun Eines der offensichtlichen (aber nicht öffentlich ausgesprochenen) Motive der Dematerialisierung des Geldes ist die Vermeidung von Bankenruns. Anlässlich eines in Lindau am Bodensee stattfindenden Kolloquiums im August 2017 zwischen 18 Wirtschaftsnobelpreisträgern wurde, 10 Jahre nach den ersten Anzeichen einer globalen Finanzkrise, das Risiko einer nächsten Krise als hoch eingeschätzt. Das Motiv war dabei eindeutig. So sagte Bengt Holmström, Nobelpreisträger des Jahres 2016 der WELT. „Jedesmal, wenn wir denken, dass es schon keinen Bankrun mehr geben wird, hat sich das Risiko dafür erhöht.“ Das Wort ist gefallen. Denn wenn es ein wirkliches Trauma von Bankern gibt, dann sind es die Warteschlangen von Kunden, die ihr Geld abheben wollen. Doch ist das Bargeld einmal ganz abgeschafft, so können sie so lange Banküberweisungen vornehmen wie sie wollen, daraus wird sich niemals ein Liquiditätsengpass ergeben, wie zu Zeiten der grossen Bankenruns. Das Motiv, das Holmström anspricht, scheint von bestürzender Einfachheit zu sein, doch sollte der heutige Finanzkapitalismus noch ein weigentliches Realitätsprinzip haben, so sind es diese Warteschlangen. Ihnen muss also tunlichst der Garaus gemacht werden.

Wir haben hier nur ein in dieser ganzen Bargeldabschaffungsdiskussion sekundäres Motiv ausgesucht, die Offensive, von der wir sprachen, hat aber zivilisatorischen Charakter. Schon 1967 tauchte die Bezeichnung cashless society  auf. Was aber zunächst nur ein modisches Wort aus dem amerikanischen Marketingjargon war, als die ersten Kreditkarten auf den Markt kamen, ist heute zu einer Realität geworden, eine zwar unscheinbare Realität, die in der öffentlichen Diskussion nur spärlich wahrgenommen wird. Das sollte sich aber im kommenden Jahr ändern

  

5. In seiner ökonomischen Vereinfachung (selbst bei Keynes und den Keynesianern) ist das Geld eine banale Erscheinung. Man studiert seine Funktionsweise, seine bestmögliche Benützung und die Vorkehrungen, die getroffen werden müssen, damit seine pathologischen Züge nicht seine Vorteile annullieren. Eine Kulturtheorie des Geldes muss tiefer und gründlicher ansetzen. Sie muss sein Verhältnis zum Un- und Unterbewussten, zu den Wahrhehmungen, zu den Denk- und den Sozialformen in Anschlag nehmen.

Das ist aber ein schier endloses Anliegen.

 

6. Geld wurde immer aus seinen Ursprüngen heraus erklärt. Das ist ein grosser Fehler. Eine solche genetische Betrachtung ist vielleicht bei Naturphänomenen angebracht. Geld hingegen ist ein komplexes Kulturphänomen, das nur aus dem Stand seiner grösstmöglichen Perfektion verstanden werden kann. Erst aus dem Verständnis dieses provisorischen Endzustandes kann seine Genesis in Angriff genommen werden.

Natur- und Kulturgeschichte unterscheiden sich in einem ganz wesentlichen, methodischen, Punkt. Bei der Naturgeschichte hat die genetische Methode eindeutig Vorrang. Das Endprodukt eines Phänomens, von dem die genealogische Methode ausgeht, ist lediglich ein Indiz für die Richtigkeit der genetischen Methode. In der Paläoanthropologie käme man nicht auf den Gedanken, sich durch das fertige Menschbild leiten lassen, wenn man erste Spuren der DNA eines noch unbekannten Hominiden sequenziert. Schritt für Schritt entwickelt man aus Fragmenten ein wandelndes Bild. Bei Kulturphänomenen ist es gerade umgekehrt. Hier wird nicht flussabwärts konstruiert, sondern von beiden Seiten her, wobei die flussaufwärts vorgehende Seite aber methodisch den Vorrang hat. Zwischen Fragment und “Endprodukt” lavierend, ist dies eine ständige Interpretation und

 

7. Geld hat heute ein elektronische Form. Und sie wird sie immer mehr bekommen. War es bis anhin als eine Erscheinung von Schriftkulturen zu verstehen, so muss diese neue mediale, elektronische, Form zu einem neuen Geldbegriff führen. Die sogenannten cryptocurrencies sind nur ein Aspekt davon, der uns aber über die Natur dieses neuen Geldbegriffes Wesentliches lernen kann.

 

8.  Im gleichen Masse, wie (Bar)geld abgeschafft wir, muss es im Gegenzug objektiviert werden. Das ist die grundsätzlich pädagogische Aufgabe dieses Kompendiums. 

Verlängert man die Züge der Dematerialisierung des Geldes in die nahe Zukunft, so kann ohne grosses Risiko gesagt werden, dass allmählich die Geschichte des Geldes als erfahrbarem Gegenstand ausläuft. In Bälde wird das Geld nur noch in musealer Form existieren. Man wir das Money-Museum besuchen kommen, wie man in einem naturkundlichen Museum Skelette von Dinosauriern  bewundern kommt. Und je mehr die Zeit versteicht, desto grosser die Mühe der Museumsassistentinnen und –Assistenten, diesen seltsamen Gegenstand zu erklären. Man wird vermutlich den Formenreichtum und die Schönheit gewisser Münzen erspähen, ihre eigentliche Funktion wird immer schwieriger zu erklären sein.

 

9. Die Moderne besteht in der Form von Wissensgesellschaften. Die traditionellen Gesellschaften waren hingegen Herrschaftsgesellschaften, in welchen Macht den gesellschaftlichen Zusammenhalt bewerkstelligte. Man muss davon ausgehen, dass es noch keiner Gesellschaft gelungen ist, wirklich modern zu sein. Immer noch funktionieren Machtgebilde, wie zum Beispiel die Macht der Männer. Wir stehen, selbst in Skandinavien, mit einem Bein noch in traditionellen Gesellschaftsstrukturen, und (im besten Falle) mit einem anderen in der Moderne. Ich nenne diesen Zustand Protomoderne. Wir sind nicht modern, wie es der französische Philosoph Bruno Latour gesagt hat, wir sind (höchstens) mehr oder weniger protomodern. Das heisst auch, dass der Modernisierungsprozess viel länger dauert als bisweilen von Historikern und Philosophen angenommen.

 

10. Macht ist ein Medium, das man hat oder nicht hat. Macht lässt sich nicht teilen. Entweder hat man sie oder man verliert sie, dann hat sie jemand anderes. Ein solche Figur nennt sich ein Nullsummenspiel. Das Wissen ist von ganz anderer Natur. Man hat Wissen. Gibt man es weg, so verliert man es nicht. Im Gegenteil, teilt man es mit anderen, so entsteht die Chance von Synergien, d.h. von Positivsummenspielen. Unsere Hauptthese besagt, dass die Moderne auf dieser Figur beruht. Doch diese Figur ist auch eine mächtige Illusion, so dass davon auszugehen ist, dass effektive Positivsummenspiele eher die Ausnahme als (wie in den diversen modernen Utopien) die Regel sind.  

Man kann es auch so sehen. Bei einem Nullsummenspiel muss immer eine Partei zuschauen, wie die andere Partei einen Vorteil aus ihrem eigenen Nachteil zieht. Um daraus keinen Konflikt entstehen zu lassen, muss diese Partei zur Geduld ermahnt werden. Das kann durch verschiedene Mittel geschehen. Machtausübung ist dabei das probateste. Aber man kann auch ideologische Mittel einsetzen, wie Glaubenslehren, welche den Geprellten das Paradies verspricht oder eine göttliche Ersatzhandlung.

 

11. Geld transportiert Wissen in einer besonderen, vor allem in einer Zahlenform. Es ermöglicht, höchst komplexe Prozesse auf eine einfache Zahl zu reduzieren (Preis, Index, Quote). Aber gleichzeitig erleidet die Wirklichkeit dadurch eine wesentliche (ästhetische, kognitive, kulturelle) Verarmung. 

Analphabetismus ist  in einer Geldgesellschaft kein Exklusionsgrund. Man möchte fast sagen: ganz im Gegenteil. Reduziert man die Welt auf Preise, so wird sie übersichtlich, so kann sich jeder Analphabet darin zurecht finden. So hat zumindest Friedrich August von Hayek  die Gesellschaft von Morgen, die er die ‘Grosse Gesellschaft’ nannte, gesehen. Eine solche Gesellschaft sei eine reine Wissensgesellschaft, eine Gesellschaft, in der freilich Wissen auf eine ganz besondere Form reduziert wird. Bemerken wir, dass der Preis für Ananas in der Migros sich verdoppelt hat, so reicht das für unsere persönliche Erbauung durchaus. Wir brauchen nicht zu wissen, ob in Folge einer Tierseuche in Costa Rica viele Plantagenarbeiter erkrankt sind, die aber wegen eines Disputs zwischen Plantagenbesitzer und Gewerkschaften ungenügend krankenversichert waren und aus Protest die Zufahrtswege zu diesen Plantagen blockiert haben, was schliesslich zu einer Verknappung dieser Frucht geführt hat. Es genügt zu wissen, dass ein Preisanstieg eine Verknappung bedeutet. Was zu dieser Verknappung geführt hat, brauchen wir nicht zu wissen.

Wie wir gerade gesehen haben, wird in einer traditionellen Gesellschaft die Geduld der Geprellten durch Gewalt erzeugt. Einer der grossen Fortschritte der Moderne ist es gewesen, Zug um Zug eine solche (symbolische und materielle) Gewalt aus der Welt zu schaffen. Wie es der Essayist Norbert Bolz enmal zum Besten gab: “wo Geld fiesst, da fliesst kein Blut”. Mit der Erfindung des Positivsummenspiels tritt aber Wissen an die Stelle von Gewalt. Zwar bleibt Geld Macht, aber es reduziert massiv eine gewaltsame Machtanwendung. Oder besser formuliert: es bindet Machtanwendung an eine mit guten Argumenten gehaltene öffentliche Auseinandersetzung. Und eine solche Auseinandersetzung ist an sich ein Positivsummenspiel, weil sie auf Wissen beruht. 

 

12. Das moderne Geld entstand nicht etwa, wie viele noch behaupten, mit der “kommerziellen Revolution” (Raymond de Roover) des 13. Jahrhunderts und den vorgängigen Silberfunden, sondern erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Es ist modernitätshistorisch ein relativ späte Erscheinung.

 

13. Geldgeschichtlich müssen die frühen 1970r Jahre als eine “Sattelzeit” (Reinhardt Koselleck) betrachtet werden.

 

14. Das Positivsummenspiel ist zum grössten Teil eine Fiktion, aber es ist eine wirksame Fiktion. Eine wirksame Fiktion ist realer als jede Wirklichkeit, da seine Erfinder und Nutzniesser alles daran setzen werden, um zu verhindern dass ihre Fiktionalität entlarvt wird. Hat man sich und andere einmal getäuscht und hat diese Täuschung wider Erwarten gut funktioniert, so hat man ein vitales Interesse daran, die Täuschung als Täuschung aus der Welt zu schaffen.

 

15. Die grösste Täuschung des Positivsummenspiels ist die Illusion eines kostenlosen Nettoerfolges. (Kann man sagen, wie einst Grass & Stützel über den Begriff der öffentlichen Güter, Geld sei ein « (in Grenzen) grenzkostelos mehrnutzbares Gut” ?) Unsere hiesige Welt ist ein (abgesehen von der Sonnenenstrahlung) limitationales System. Jeder Nettoprofit, jede Nettoentnahme gleicht sich durch Nettokosten bzw. Nettoausgaben aus. Das einzige System, welches dieses Gleichgewicht beim Namen nennt, ist das System der Buchführung.

 

16. Je unsichtbarer das Geld, desto perfekter die Moderne. Seine Perfektion hat das Geld erst dann erreicht, wenn es ganz unsichtbar geworden ist. Unsichtbarkeit des Geldes und Pefektion der Moderne sind ein- und dasselbe.

Das ist sowohl eine grosse Erleichterung, aber auch eine grosse Gefahr. Wir dürfen von dieser Erleichterung nicht absehen, aber um so mehr dafür sorgen, dass die Gefahr nicht vertuscht und vergessen wird.

 

17. Wir schrieben bereits: wer die Moderne verstehen will, muss sein Leitmedium, das Geld, verstehen. Und wer das Geld verstehen will, muss den beschwerlichen Weg gehen, das einzige Buch, das den kulturwissenscaftlichen Anspruch einer Geldwissenschaft ernst nimmt, zu lesen. Dieses Buch ist die Philosophie des Geldes des deutschen Philosophen und Soziologen Georg Simmel (1900 [1907]). Wir betrachten es als die Bibel einer je möglichen Kulturtheorie des Geldes. An ihr kann man nicht vorbei gehen.

  

18. Zur Psychologie des Geldes gibt es unendlich viel zu sagen. Seit den ersten Mutmassungen von Freud und Ferenczi, den Untersuchungen von Günther Schmölders in den 1950er Jahre bis zu den heutigen Experimenten in Neurowissenschaften und der prospect theory von Kahneman und Tversky ist das Spektrum der Geldpsychologie so divers wie umstritten.

Der erste aber bedeutende Ansatz findet sich bei Georg Simmel, denn er stellte schon damals die Bewusstseinsfrage. Was bewirkt das Geld auf das menschliche Bewusstsein und wie wird dieses Geld als Geld wahrgenommen. Es sind dies ässerst schwierige, pyschophilosophische Anliegen. Nach einem mehr als 100-jährigen Unterbruch, tauchen diese Fragen heute wieder im Rahmen der neurowissenschaftlichen Untersuchungen auf. Diese Bewusstseisfrage bildet also wie eine Klammer, die, mit der Zeichen/Substanz-Kontroverse beginnend, im Zeitalter der cashless society wieder aufblüht. Nur, wo Simmel noch analogisch-spekulativ aufwartet, ist es heute möglich, mit ausgeklügelten Methoden diese komplexen Fragen empirisch zu untersuchen.

Zwischen Simmel und den Neurowissenschaften hat sich die Psychologie bzw. die Psychanalyse zwar nicht sehr intensiv, jedoch durchlaufend und dezidiert mit dem Geld befasst. Freud und Ferenczis Mutmassugen über Geld und Analerotik könnten zwar leichterdings zu den mehr oder weniger bizarren Marginalien der Psychanalyse gezählt werden, doch haben sich zahlreiche Psychanalytiker – von Jacques Lacan bis Ernest Borneman – von diesen Hypothesen inspirieren lassen. Daneben existieren zahlreiche „wissenschaftlichere“ Untersuchungen, angefangen mit Schmölders Geld- und Finanzsoziologie, mit zahlreichen behavioristischen Recherchen (z.B. im Rahmen der Arbeitspsychologie), mit den aus der Sozialpsychologie (Michael Argyle) stammenden, heute wohl am aktivsten arbeitenden englischen Geldpsychologen Adrian Furnham, Paul Webley und Stephen E.G. Lea, bis hin zu den ersten Streifzügen in die Neuropsychologie.       

Es gibt jedoch grössere Fortschritte zu verzeichnen.

 

 

 
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