Schefolds Reihe der Klassiker der Nationalökonomie
*Ökonomie und Ethik aus ,De iustitia et iure‘
Leonardus Lessius' ökonomische und ethische Überlegungen in De iustitia et iure (1605) stellen einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftsethischen Diskussion der frühen Neuzeit dar. Als Theologe der Schule von Salamanca verband Lessius christliche Moral mit einer pragmatischen Sicht auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Prozesse. Sein Werk bietet eine differenzierte Analyse wirtschaftlicher Praktiken und legt dar, unter welchen Bedingungen wirtschaftliche Handlungen als gerecht oder ungerecht gelten.
Ein zentrales Thema von Lessius’ Abhandlung ist die Frage nach der Gerechtigkeit im Handel. Er betrachtet die Preisbildung und argumentiert, dass der Marktpreis durch Angebot und Nachfrage bestimmt wird, solange er in einem ethischen Rahmen bleibt. Diese Einsicht steht im Gegensatz zur mittelalterlichen Vorstellung eines „gerechten Preises“, der unabhängig von Marktmechanismen festgelegt wurde. Lessius erkennt an, dass Preise durch Knappheit und wirtschaftliche Bedingungen variieren können, hält jedoch an der moralischen Verpflichtung fest, dass Handelspartner sich nicht gegenseitig ausbeuten sollten.
Besonders bemerkenswert ist seine Haltung zum Zins. Während die kirchliche Lehre lange Zeit jegliche Form des Zinsnehmens (Usura) verurteilte, untersuchte Lessius die wirtschaftliche Realität und unterschied zwischen erlaubtem und unerlaubtem Zins. Er argumentierte, dass Zinsen in bestimmten Fällen gerechtfertigt sein könnten, etwa als Entschädigung für entgangene Nutzungsmöglichkeiten des Kapitals. Diese differenzierte Betrachtung legte den Grundstein für spätere wirtschaftstheoretische Entwicklungen und eine Lockerung des kirchlichen Zinsverbots.
Ein weiterer wichtiger Aspekt seines Werkes ist die Rolle des Staates in wirtschaftlichen Angelegenheiten. Lessius vertritt die Auffassung, dass der Staat eine gerechte Ordnung gewährleisten muss, ohne den Handel unnötig zu beschränken. Er befürwortet Maßnahmen gegen Wucher und betrügerische Geschäftspraktiken, lehnt aber übermäßige Regulierungen ab, die den freien Markt behindern könnten. Seine Ideen zur Regulierung wirtschaftlicher Prozesse markieren einen Übergang von mittelalterlichen hin zu modernen Wirtschaftsvorstellungen.
Lessius' Werk war nicht nur von akademischem Interesse, sondern diente auch Kaufleuten und Geschäftsleuten als Orientierung für moralisch vertretbares wirtschaftliches Handeln. Seine differenzierte Sicht auf Preisbildung, Zins und staatliche Regulierung macht ihn zu einem bedeutenden Denker an der Schnittstelle von Theologie, Ethik und Ökonomie. De iustitia et iure bleibt ein bemerkenswertes Beispiel für die Verbindung von christlicher Moral und ökonomischer Rationalität.