Daniel Defoe, Robinson Crusoe
Publiziert von Manesse, Bibliothek der Weltliteratur, 1957
Die „seltsamen und überraschenden“ Abenteuer des Robinson Crusoe, der auf einer abgelegenen Insel vor Südamerika strandet und dort 28 Jahre lang fast alleine lebt, dürften den meisten Lesern bekannt sein. Daniel Defoes Werk, das häufig als erster englischer Roman bezeichnet wird, erlebte unmittelbar nach seiner Erstveröffentlichung 1719 einen großen Erfolg, der bis heute anhält. Die Abenteuer Crusoes und seines zeitweiligen Begleiters Freitag haben über die Jahre einen Bekanntheitsgrad erreicht, der ihnen einen festen Platz in vielen Bücherregalen zuweisen dürfte. Die englische Literatur benennt sogar ein ganzes Genre nach dem einflussreichen Werk (die „Robinsonade“) und auch Hollywood zollt dem Stoff in Filmen wie „Cast Away – Verschollen“ oder der Fernsehserie „Lost“ Respekt.
Die Geschichte wirft viele grundsätzliche Fragen über das menschlichen Dasein auf: Ist der Mensch von Natur aus gut? Dient die Gesellschaft dem Schutz des Menschen oder verdirbt sie ihn? Philosophische Debatten lassen sich an Defoes Werk genauso aufmachen wie die Problematik des Kolonialismus, die sich in Robinsons Auseinandersetzungen mit Freitag und den Eingeborenen widerspiegeln.
Aber ein anderer, mindestens ebenso spannender Aspekt an Robinson Crusoes Geschichte ist das Szenario des Menschen vor, bzw. außerhalb einer etablierten Gesellschaft: Ein Mann, eine Insel und kein existierendes Wirtschaftssystem. Was passiert mit dem Menschen, wenn er völlig auf sich allein gestellt ist, weit entfernt von jedweder Zivilisation? In diesem fiktiven Szenario baut sich Robinson nach und nach seine eigene Wirtschaft auf, indem er beispielsweise das vorgefundene Land – ganz wortwörtlich – bewirtschaftet.
Die Vorstellung eines solchen wirtschaftlichen Mikrokosmos wurde von verschiedenen Wirtschaftstheoretikern immer wieder aufgegriffen, sogar von Karl Marx in „Das Kapital“. Er führt Robinson als grundsätzlich positives Beispiel der Warenproduktion an, da er ein sehr viel unmittelbares Verhältnis zu seinen Arbeits- und Produktionsverhältnissen hat als wir es heute kennen. Er kann beispielsweise täglich selbst entscheiden wie viele Arbeitsstunden er leistet und wie viele Stunden Freizeit er haben will. Zudem produziert er ausschließlich Dinge, die einen direkten Nutzwert für ihn haben.
Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet bietet sich kein ganz so positives Bild. Robinson kann auch als eine Art früher homo oeconomicus betrachtet werden, der alles in seiner Umgebung, Menschen inbegriffen, ausschließlich nach ihrem Nutzwert für ihn beurteilt, womit auch Sklavenhandel zu einer Kosten-Nutzen Frage wird.
Ein Merkmal einflussreicher literarischer Werke ist ihre Fähigkeit grundsätzliche Fragen über Mensch und Gesellschaft aufzuwerfen. Dass Robinson Crusoe genau dies vermag trägt sicherlich dazu bei, dass der Roman die Jahrhunderte überdauert hat und auch heute noch gelesen wird.
Teresa Teklić