Hartmann von Aue, Iwein
Publiziert von Manesse, Bibliothek der Weltliteratur, 1988
Eigentlich könnte alles harmonisch verlaufen, nachdem Iwein - ein Ritter von Artus' berühmter Tafelrunde - die schöne Burgherrin Laudine zur Frau genommen hat. Doch als Iwein seine Abmachung mit Laudine nicht einhält, rechtzeitig nach Jahr und Tag von seiner Turnierfahrt zurückzukehren, beendet sie die Ehe. Iwein wird für sein zu spät kommen bestraft und wird vom Hof verstoßen. Ganz auf sich allein gestellt, erlebt er aufregende Abenteuer. Er rettet das Land einer adeligen Dame und gewinnt durch eine weitere Heldentat einen Löwen als Gefährten. Als er schließlich zufällig auf Lunete, die Vertraute seiner ehemaligen Frau Laudine, trifft, die angeklagt ist und deren Frist für einen Gerichtsprozess ausgerechnet am nächsten Tag ausläuft, sieht Iwein seine einmalige Chance: Das damalige Fristversäumnis nach der Heirat mit Laudine könnte nun wieder gut gemacht werden. Doch allein dies wird noch nicht reichen, um seine geliebte Laudine wieder zurück zu gewinnen.
„Iwein“, der zweite höfische Roman Hartmanns von Aue, entstand vermutlich um das Jahr 1200. Hartmann hatte den Artusroman aus der altfranzösischen Vorlage von Chrétien de Troyes „Yvain" frei ins Mittelhochdeutsche übertragen. Mit 33 erhaltenen Handschriften ist „Iwein“ einer der bestüberlieferten Romane seiner Zeit und Hartmann von Aue ist heute neben Gottfried von Straßburg und Wolfram von Eschenbach einer der berühmtesten Dichter der mittelhochdeutschen Klassik.
Obwohl „Iwein“ schon über 800 Jahre alt ist, überrascht der Text durch seine Verständlichkeit und die im wahrsten Sinne des Wortes fabelhafte Ausführung eines sehr prägnanten Konflikts: Iwein hat gegenüber seiner Frau sein Versprechen gebrochen. Er war zu spät und muss ihre Gunst zurückgewinnen. Die Entscheidungen des Helden bleiben also stets nachvollziehbar und die Identifikation mit Iwein ist trotz des mehrere Jahrhunderte großen Altersunterschieds von Held und Leser stets gegeben. Doch gleichzeitig wird seine Mission, sich zu rehabilitieren, wie jeder von uns es auch manchmal tun muss, durch Drachen, Ritter und scheinbar ausweglose Notsituationen ausgeschmückt.
Die Abenteuer des charmant-chaotischen Iwein bilden so eine der spannendsten Stories der gesamten Literatur vor der Renaissance, die sich problemlos mit zeitgenössischen Helden wie Harry Potter oder Spiderman messen könnten.
Ein mittelalterlicher Roman wie der Hartmanns bietet vor allem aber ein Fenster in die Vergangenheit und lässt uns gewahr werden, dass die Geschichten, die bis heute im Hollywood Kino oder in Kriminalromanen erzählt werden, sich im Grunde nicht geändert haben. Nach wie vor geht es um Ehre, um Scheitern, um Liebe.Nach wie vor sitzen wir gerne zu vielen um einen Geschichtenerzähler - sei es das Theater oder der Fernseher - und lassen uns verzaubern wie schon vor hunderten von Jahren. Somit lässt der „Iwein“ seinen Leser für einen Moment inne halten, inmitten einer Welt, die viel schneller und verwirrender geworden ist, und sich ganz versenken in die Anfänge der eigenen Kultur. Werke wie der „Iwein“ zeigen uns, dass sich zwar alles geändert hat, aber wir trotzdem die gleichen geblieben sind.
Christina Schlögl