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Hermann Melville: «Moby Dick» (1851). 1944 als erstes Buch im Manesse-Verlag erschienen

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«Moby Dick» setzte das Startzeichen. Der unvollendete Roman von Herman Melville ist als erstes Buch in der Manesse-Bibliothek der Weltliteratur 1944 erschienen. Dass der neu gegründete Verlag gerade diesen Klassiker auswählte, erstaunt mich nicht, denn «Moby Dick» ist viel mehr als ein Abenteuerroman über den Walfang in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Nordamerika. Er ist eine Parabel auf den Staat,  dessen Symbol seit der Antike das Schiff, genauer das Staatsschiff, ist.

1944 war die Schweiz umgeben von Staaten, die aufgehört hatten zu existieren. Der Zweite Weltkrieg tobte. Mit Blick auf «Moby Dick» lässt sich hier eine Parallele ziehen: Am Anfang der europäischen Katastrophe stand der Wahn eines ruchlosen Verbrechers – Adolf Hitler. In «Moby Dick» ist es der wahnsinnige Rachefeldzug des Kapitäns Ahab, der die ganze Mannschaft und das Schiff in den Abgrund reissen wird. «Moby Dick» ist übrigens mein ganz persönliches Lieblingsbuch.

Der Roman enthält zahlreiche Anspielungen und Verweise auf die jüngere und ältere Geschichte der USA. Schon der Name des Walfangschiffs «Pequod», das in New Bedford vor Anker liegt und auf dem die Hauptfigur Ishmael anheurt, weist auf dunkle Seiten der Geschichte des jungen Staates hin. Es ist der Name eines Indianerstamms im Nordwesten der USA, der ausgerottet worden war. Das Abenteuer steht unter äusserst schlechten Vorzeichen!

Eine zentrale Rolle nimmt das Geld ein. Dies wird schon zu Beginn des Romans klar:  Jede Person, die auf dem Schiff anheuert, soll einen bestimmten Anteil am Gewinn des Unterfangens erhalten – abhängig davon, wie viel Erfahrung und welche Fähigkeiten sie mitbringt. Diese prospektive und vertraglich vereinbarte Gewinnbeteiligung wird penibel in einem Buch festgehalten. Der Walfang ist nicht nur ein Abenteuer, sondern auch ein Geschäft, das Profit generieren muss.

Im Laufe der Geschichte schlägt das Pendel weiter vom Abenteuer zum Geschäft um. Auf offener See wird Kapitän Ahab vor seine Mannschaft treten und eine spanische Goldmünze als Belohnung aussetzen. Sie soll demjenigen gehören, der einen riesigen, weissen Pottwal erblickt. Alle auf dem Schiff wissen, um wen es sich handelt: Moby Dick. Geschickt zieht Kapitän Ahab die Mannschaft auf seine Seite, indem er an deren Gier appelliert. In einem dramatischen Monolog am Ende dieser Episode legt er zudem den eigentlichen Sinn und Zweck des Unterfangens offen zutage: die Befriedigung einer Rache. Was will uns diese Szene sagen? Der Walfang als risikoreicher, aber lukrativer Wirtschaftszweig – schon zur Zeit, als Moby Dick publizierte wurde – war deswegen bereits in der Krise, weil Gier den Hauptantrieb bildete.

«Moby Dick» ist ein Abenteuerroman, den man wegen seiner packenden Geschichte nicht so leicht weglegt. Und er ist viel mehr – ein auf verschiedenen Ebenen angesiedelter gesellschaftskritischer Roman, dessen Aktualität jede Generation für sich wieder neu entdecken kann und auch sollte.

Stephan Koncz

 

 

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