Aldous Huxley, Schöne, neue Welt
Erstmals publiziert 1932, die deutsche Ausgabe erschien im gleichen Jahr im Insel-Verlag
Kennen Sie das? Sie betreten ein Geschäft. Die Verkäuferin, die Ihnen eigentlich helfen soll, hat Besseres zu tun. Sie sieht aus dem Fenster, träumt von einer Karriere im Showbiz und gibt deutlich zu verstehen, dass sie zu etwas Besserem geboren ist als in einem Laden zu stehen.
Vielleicht hat sie ja recht. Nichtsdestotrotz basiert unser Gesellschaftssystem darauf, dass nicht jeder die Arbeit machen kann, die er gerne tut. Niemand möchte Müllmann werden. Und doch gibt es Männer, die als Müllmann arbeiten. Menschen tun Dinge, die unattraktiv sind. Aus Idealismus, weil sie keine Wahl haben, oder weil eine attraktive Entlohnung winkt.
In der schönen neuen Welt, die Aldous Huxley in seinem Roman beschreibt, ist kein äußerer Anreiz dafür nötig. Egal um welche Arbeit es geht, die Menschen lieben sie! Verantwortlich dafür ist die Weltregierung. Sie optimiert den Fötus des zukünftigen Arbeiters nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Eine nach Kasten getrennte Konditionierung des Kleinkinds vervollkommnet das Genmaterial. Ob Alpha Plus, ob Epsilon Minus – jeder hält seine Aufgabe für die beste. Tiefere Gefühle? Überflüssig. Fühlkino ersetzt das wahre Leben und die sexuellen Triebe werden mit organisierten Massenorgien befriedigt.
Alles, was zählt, ist die Arbeitskraft. Gemeinsam huldigt man dem Automobilbauer Henry Ford. Verehrt wird das T als Zeichen des T-Modells. Das erste auf dem Fließband gefertigte Automobil mutiert zum Symbol des Kapitalismus. Und eben dieser Kapitalismus wird in der schönen neuen Welt zu einem totalitären Regime, durchgesetzt nicht mit Zwang, sondern mit modernster Wissenschaft.
Das erinnert Sie an modernes Human Ressources Management? Bei dem über Nudging und Positive Thinking intrinsische Anreize geschaffen werden, die zum finanziellen Wohl des Unternehmens die Selbstausbeutung des Angestellten bis zum Burn Out treiben? Im Grunde schildert Aldous Huxley – natürlich überspitzt – genau diese Welt einer von außen gesteuerten Selbstoptimierung.
Und natürlich gibt es einen Störenfried, der Sand ins Getriebe streut. Der „Wilde“ ist in einer primitiven Umgebung aufgewachsen, hat aber auch die Liebe einer Mutter erlebt. Er ist begeistert von den Möglichkeiten des Fortschritts und erschüttert über die Gefühllosigkeit, mit der die Menschen wie Roboter ihre Aufgaben erfüllen. Er liebt eine Frau, die für diese Gesellschaft steht, und verachtet sie, weil sie ihm nur ihren Körper, nicht ihr Herz schenken kann. Nicht weil sie nicht möchte. Sie weiß einfach nicht, wovon er redet, wenn er von Liebe spricht.
Der Roman kulminiert in einer Diskussion zwischen dem „Wilden“ und dem „Weltaufsichtsrat für Westeuropa“. Ist es die Sicherheit, das allgemeine Glück und die Stabilität der Gesellschaft wert, dafür alle Individualität und persönliche Willensfreiheit abzuschaffen? Der „Wilde“ sagt nein und lässt sich von der Weltregierung in eine einsame Gegend verbannen.
„Schöne neue Welt“ greift die kommunistischen und faschistischen Phantasien seiner Epoche auf, Kinder mittels Erziehung zu kritiklosen Untertanen zu erziehen. Kein Wunder, dass sich das Buch bereits kurz nach seinem Erscheinen auf der ersten Liste der von den deutschen Nazis verbotenen Bücher findet. Denn zu genau hatte Huxley das System durchschaut. Und er ist sich bewusst, wie er 1949 an George Orwell schreibt, dass solche Manipulationen noch zunehmen werden: „Ich glaube, dass in der kommenden Generation die Führer der Welt entdecken werden, dass die Konditionierung des Kindes und Hypnose im Schlaf als Machtmittel wesentlich effizienter sind als Schlagstöcke und Gefängnisse. Denn die Machtgier kann genauso befriedigt werden, wenn man Menschen durch Suggestion dazu bringt, ihre Knechtschaft zu lieben, wie wenn man sie auspeitscht und zum Gehorsam prügelt.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.