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Prof. Reiner Eichenberger: Gibt es eine Überalterung der Gesellschaft?

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Höheres Rentenalter dank Steuererleichterung für Altersarbeit

  • Entscheidend ist, dass viele Mitarbeiter über das normale Rentenalter hinaus arbeiten. Deshalb muss zum einen das Rentenalter ganz offiziell flexibilisiert werden und die Unternehmungen und Pensionskassen müssen die existierenden Hemmnisse für Altersarbeit abbauen. 
  • Zum anderen könnte der Staat die Wahrscheinlichkeit der Altersarbeit und damit die Investitionen der Unternehmungen, der Alten selbst sowie der anderen Mitarbeiter erhöhen, indem er Altersarbeit für die Alten und ihre Arbeitgeber attraktiver macht. So könnten die Arbeitseinkommen der über 64-Jährigen für einige Jahre wenigstens teilweise von den Einkommenssteuern und den Sozialabgaben befreit werden. Dadurch würde Altersarbeit häufiger, wodurch wiederum die Investitionen der Unternehmungen, der Alten selbst und ihrer Kollegen in die Fähigkeiten der Alten zunehmen würde, wodurch Altersarbeit noch produktiver und häufiger und so bald üblich würde.

Anzahl gesunder Lebensjahre steigt

Die Lebenserwartung steigt schnell. Als Folge wird sich die sogenannte Alterslast – das zahlenmässige Verhältnis der über 65-Jährigen zu den 20 bis 64-Jährigen – bis 2050 auf über 50 Prozent verdoppeln.  Viele reden düster von Überalterung oder gar Vergreisung der Gesellschaft und prognostizieren explodierenden Sozialabgaben und Altersarmut infolge sinkender Renten und Mangel an Pflege und Betreuungsplätzen. Doch das ist alles falsch. Die Alterung ist kein Grund zur Sorge, sondern zur Freude.

Die erwähnte Messgrösse für die Alterslast macht wenig Sinn. Sie beruht auf fixen Altersklassen. Die Menschen werden aber nicht einfach älter und kranker, sondern sie werden älter, weil sie immer gesünder werden. Mit höherer Lebenserwartung steigen also vor allem die Anzahl gesunder Lebensjahre. Das kann mit intelligenteren Altersmassen erfasst werden. So leiden in der Schweiz 2010 nur neun Prozent der Erwachsenen an gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Trotz Alterung wird bis 2050 lediglich ein kleiner Anstieg auf elf Prozent prognostiziert. Aber selbst das ist immer noch zu pessimistisch, falls wir das Rentenalter flexibilisieren.

Die individuelle Alterung ist nicht einfach ein automatischer medizinisch-biologischer Prozess. Vielmehr hängt sie stark vom Verhalten jedes Einzelnen und seines Umfeldes ab. Dieses wiederum wird vom normalen Pensionsalter und damit institutionell geprägt. Für die Unternehmen lohnt es sich umso weniger, in die Ausbildung und die körperliche Gesundheit von Mitarbeitern zu investieren, je näher diese dem Pensionsalter sind. Genauso lohnen sich auch für die Mitarbeiter Investitionen in ihr eigenes Wissen umso weniger, je näher ihre Pensionierung rückt. Selbst für Arbeitskollegen ist es wenig attraktiv, Ältere zu unterstützen, denn oft dient man Kollegen und Vorgesetzten, weil das für die eigene Karriere nützlich ist. Je näher diese aber der Pensionierungsgrenze kommen, desto mehr werden sie zu „lame ducks“. Sie haben nichts mehr zu sagen, werden nicht mehr richtig informiert und unterstützt, da sie sowieso bald den Betrieb verlassen. Folglich werden Arbeitnehmer, die sich dem 65. Altersjahr nähern, aufgrund allseitiger Unterinvestition tatsächlich unproduktiver und erscheinen oft ausgebrannt, altern also im negativen Sinne.

Diese institutionell bedingte Alterung hat für die ganze Gesellschaft dramatische Auswirkungen. Das gilt insbesondere für Länder wie die Schweiz, deren entscheidende Ressource die Produktivität seiner Einwohner ist. Deshalb ist es unabdingbar, das Rentenalter nicht einfach zu erhöhen, sondern zu flexibilisieren. Nur mit der Abschaffung einer fixen Altersgrenze verschwinden auch ihre negativen Wirkungen auf die Investitionen in Wissen und Gesundheit und damit auf die Produktivität der älteren Mitarbeiter.

Hemmnisse für Altersarbeit abbauen

Gegen die bessere Integration der Alten im Arbeitsprozess wird oft behauptet, die Alten nähmen den Jungen die Arbeitsplätze weg. Doch das stimmt nicht. Das zusätzliche Arbeitsangebot der Alten drückt zwar zuerst auf die Löhne. Doch damit sinken auch die Lohnkosten der Unternehmungen, was die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz stärkt, Investitionen anzieht und neue Arbeitsplätze schafft. Zudem nehmen die Konsumnachfrage und Steuerzahlungen der Alten zu. Die Gesamtwirkung dieser hochkomplexen Zusammenhänge kann intuitiv einfach erfasst werden: Die durch die Arbeit erbrachte wirtschaftliche Leistung eines Landes ist wie ein Kuchen, der zum Konsum zwischen Alten und Jungen verteilt werden kann. Je mehr die Alten arbeiten, desto grösser wird der Kuchen und desto grössere Stücke bleiben für alle übrig. Somit nützt die Arbeit der Alten auch den Jungen.

Gegen das bisher Gesagte könnte eingewendet werden, dass die Alten ja heute schon über das normale Pensionsalter hinaus arbeiten könnten. Tatsächlich aber wird Altersarbeit durch verschiedene institutionelle Regelungen eingeschränkt. Für die Arbeitgeber sind die Älteren wegen der Lohnnebenkosten sowie dem Senioritätsprinzip, d.h. unabhängig von der Leistung mit dem Alter steigenden Löhnen, zumeist wesentlich teurer. Zudem ist das Weiterarbeiten heute kein freier individueller Entscheid. Die Arbeitgeber und Arbeitskollegen reduzieren ihre Unterstützung auch dann, wenn ein älterer Arbeitnehmer eigentlich weiterarbeiten möchte. Denn sie können die Wahrscheinlichkeit, dass er tatsächlich weiterarbeitet, im Einzelfall kaum richtig einschätzen und orientiert sich am durchschnittlichen Pensionsalter.

Entscheidend ist deshalb, dass viele Mitarbeiter über das normale Rentenalter hinaus arbeiten. Deshalb muss zum einen das Rentenalter ganz offiziell flexibilisiert werden, und die Unternehmungen und Pensionskassen müssen die existierenden Hemmnisse für Altersarbeit abbauen. Zum anderen könnte der Staat die Wahrscheinlichkeit der Altersarbeit und damit die Investitionen der Unternehmungen, der Alten selbst sowie der anderen Mitarbeiter erhöhen, indem er Altersarbeit für die Alten und ihre Arbeitgeber attraktiver macht. So könnten die Arbeitseinkommen der über 64-Jährigen für einige Jahre wenigstens teilweise von den Einkommenssteuern und den Sozialabgaben befreit werden. Dadurch würde Altersarbeit häufiger, wodurch wiederum die Investitionen der Unternehmungen, der Alten selbst und ihrer Kollegen in die Fähigkeiten der Alten zunehmen würde, wodurch Altersarbeit noch produktiver und häufiger und so bald üblich würde.

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