Heidi Lehner – vom Wachsen
Als Geschäftsführerin werde ich immer wieder gefragt, weshalb die Sunflower Foundation die Sonnenblume zu ihrem Symbol wählte, wer hinter der Stiftung steht und weshalb die Stiftung Tauschkreise fördert.
Hier einige Antworten beim Treffen des Tauschkreises «Tauschen am Fluss».
Was wir von der Sonnenblume lernen können
Die Sonnenblume steht bei der Sunflower Foundation für Wachstum in einem ganz besonderen Sinn: ein Wachstum, das sich durch Balance, Harmonie und Einzigartigkeit auszeichnet. Und das sowohl im eigentlichen, biologischen Sinn als auch übertragen auf Beziehungen und Partnerschaften. Dazu schauen wir uns einen Ausschnitt aus dem Film «Die Sunflower-Philosophie» an. Er dauert etwa zehn Minuten und zeigt die Grundprinzipien dieser Art von Wachstum. Fibonacci hat sie als Erster mathematisch beschrieben.
Wachstum heisst also nicht «immer grösser, immer mehr». Vielmehr geht es bei der Art, wie etwa eine Sonnenblume wächst, um Proportionen, um Fluss und inneren Zusammenhang. Das Wachstum geschieht hier nicht nach einem fixen Programm, das einfach abläuft, wenn es einmal gestartet ist. Es entwickelt sich stetig Schritt um Schritt, indem die letzten Positionen die nächste bestimmen, und im Austausch mit der Umwelt. Dort, an der Grenze zwischen zwei unterschiedlichen Kräften, entsteht Spannung. Dort entscheidet sich, ob etwas in sich zusammenfällt oder sich in der Unendlichkeit verliert – oder ob es Stabilität findet und sich manifestiert.
Wir finden diese Gesetzmässigkeiten überall in der Natur und in uns selbst. Und sie bilden die Grundlage für die Sunflower-Philosophie, wie sie in der letzten Filmsequenz beschrieben wird.
Verena Conzett
Wie wir soeben gehört haben, sind Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl und Fremdwertgefühl wichtige Begriffe in der Sunflower-Philosophie. «Da fehlt aber noch eine Zutat zum Erfolg», würde Verena Conzett, die Urgrossmutter von Jürg Conzett, woh sagen. Nämlich Ausdauer, ohne die geht's auch nicht. Verena wusste das aus eigener Erfahrung.
Sie wuchs in einer Arbeiterfamilie in Zürich auf und trat nach der 6. Klasse, statt in die Sekundarschule, als Haspelkind in eine Spinnereifabrik ein. Durch die frühe Erblindung ihres Vaters lernte sie bereits als Kind und Jugendliche Not und Entbehrungen kennen. In ihrer Biografie, die sie 1929 veröffentlichte, beschreibt sie zum Beispiel, wie sie mit ihrer Schwester an einem nasskalten Herbsttag einen ganzen Nachmittag auf einer Baustelle Holzspäne aus Schutthaufen zusammengeklaubt hatte, um damit den Ofen zu heizen. Das taten zu jener Zeit viele arme Kinder. Als sie den schweren Sack nach Hause tragen wollten, zwang sie ein Polier dazu, den Sack wieder auf den Bauplatz zurückzutragen und das Holz zum Abfall zu werfen.Diese Erfahrung prägte Verena Conzett. Sie schreibt dazu: «Durch dieses Ereignis wurde mein Gerechtigkeitsgefühl ausgeprägter, und wo ich fortan Unrecht sah, setzte ich mich mit heiligem Eifer für die Betroffenen ein.»
Durch ihren Mann Conrad Conzett kam sie mit der Arbeiterbewegung in Kontakt und wurde in der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert selbst eine der bedeutendsten Stimmen unter den Arbeiterinnen der Schweiz. Conrad Conzett war ein Idealist und Kämpfer. Aufgewachsen in Chur, reiste er schon als junger Buchdrucker nach Leipzig, wo er die Sozialisten Liebknecht und Bebel kennenlernte und unter deren Einfluss zu einem überzeugten Sozialdemokraten wurde. Er verwirklichte seinen Traum, die grosse weite Welt kennenzulernen, früh und wanderte nach Amerika aus. In Chicago prägte er als Herausgeber und Redaktor einer Zeitung die Arbeiterbewegung mit, und als er in die Schweiz zurückkehrte, war er neben Drucker, Redaktor und Herausgeber verschiedener Zeitungen bald ein führender Kopf der Sozialdemokraten sowie der Gewerkschaftsbewegung. Durch seineEhrlichkeit und volkstümliche Art war er ausserdem ein beliebter Redner, der kein Blatt vor den Mund nahm, wenn es darum ging, aufzuklären und Hoffnung auf eine bessereZukunft zu machen.
Aber nochmals zurück zur Ausdauer. Die brauchte Verena Conzett nach dem unerwartet frühen Tod ihres Mannes. Nach jahrelanger körperlicher und psychischer Überanstrengung nämlich war dieser ausgebrannt und litt wohl unter dem, was man heute ein Burn-out nennt. Ein ungedeckter Wechsel brachte das Fass dann zum Überlaufen und er nahm sich mit 48 Jahren das Leben. Nun stand Verena mit zwei Buben und einer überschuldeten Druckerei alleine da.
Entgegen aller gut gemeinten Ratschläge, das Erbe abzulehnen, trat sie es jedoch an, und es dauerte zehn harte Jahre, bis ihr die Realisierung eines lange gehegten Traums den ersehnten Erfolg brachte: Sie gab eine Familienzeitschrift heraus, in deren Abo eine weitgehend kostenlose Unfallversicherung integriert war. Dazu schreibt sie: «Ich habe verschiedene, recht energische Menschen kennengelernt, die trotzdem bei allen ihren Unternehmungen Schiffbruch erlitten. Es hat ihnen nicht etwa an Tüchtigkeit gefehlt, wohl aber an Ausdauer; trat der Erfolg nicht in der erwarteten Zeit ein, erlahmten sie. Ich hatte mir nach Übernahme des Geschäftes auch vorgestellt, der Erfolg werde rascher eintreten. Über zehn Jahrehabe ich durchgehalten, in hartem Kampf. Da endlich wagte ich einen Schritt, dessen Konsequenzen ich nicht übersehen konnte. Würde er mir Erfolg bringen? – Ja, er brachte mi Erfolg. Im Jahre 1907 kaufte ich eine Setzmaschine ‹Linotype›. Es gab damals deren erst wenige in Zürich. Hätte ich mit dem Kauf zugewartet, so wäre ich wahrscheinlich überhaupt nicht mehr dazu gekommen. Kaum war die Maschine in Betrieb, da verlor ich durch Eingehen einer Zeitung die Hauptarbeit für sie. Um Ersatz zu schaffen, gründete ich die Zeitschrift ‹In freien Stunden›. Es herrschte gerade eine schwere wirtschaftliche Krise. Ich wurde von Freunden gewarnt. Einer meinte: ‹Wenn Sie besonderes Glück haben, ist es möglich, dass die Zeitschrift geht, ich befürchte aber – Sie gehen!› Ich ging nicht, aber die Zeitschrift ging. Und das war wirklich ein Glück.» Mit dem Kauf der Setzmaschine hatte sie den Grundstein für ein über Jahrzehnte hinweg erfolgreiches Unternehmen gelegt: den Conzett & Huber Verlag.
Der Urenkel
Jürg Conzett wurde zwei Generationen später – im Todesjahr von Verena Conzett – in ganz andere wirtschaftliche und soziale Verhältnisse hineingeboren. Er wuchs in einer wohlhabenden Familie auf und fragte sich schon als Kind, was das mit ihm zu tun habe, wenn andere sagten, dass er zu den «Bonzen» gehöre.
Er beobachtete früh, dass viele wohlhabende Menschen am Geld litten, dass es sie nicht glücklich machte – und schon gar nicht frei. Er studierte Geschichte und Psychologie und stellte bereits in seiner Dissertation die Frage, wie die Befreiung des Individuums aus dem Geldgefängnis gelingen könne – sowohl für die Armen als auch für die Reichen –, sodass die Menschen aus innerer Überzeugung handeln könnten und es nicht ausschliesslich nach äusseren, sozialen und wirtschaftlichen Zwängen tun müssten.
Diese Frage hat ihn durch all seine Tätigkeiten hindurch begleitet: als Analyst bei Banken, als selbständiger Vermögensberater und als Gründer und Geschäftsführer der Sunflower Foundation. Die Ergebnisse seiner Suche nach Antworten stellt er anderen Menschen auf verschiedene Art und Weise zur Verfügung: im MoneyMuseum mit Ausstellungen und Veranstaltungen zu verschiedensten Aspekten des Geldes und seiner Geschichte, im MoneyForum durch Vortrags- und Diskussionsabende, im MoneyLab durch Unterstützung innovativer Projekte, die einen Nutzen für das Individuum und die Gesellschaft als Ganzes versprechen – immer unter Berücksichtigung der im Film gezeigten Prinzipien.
Tauschen am Fluss
Und das ist auch der Grund, warum die Sunflower Foundation Mitglied bei Tauschen am Fluss ist. Tauschen am Fluss ist eines dieser innovativen Projekte – und erst noch eines, das einige der Sunflower-Prinzipien in die Tat umsetzt. «Was tue ich gerne? Was kann ich gut? Und wem könnte ich nützlich sein?», das sind Fragen, die auch ihr euch stellen müsst, wenn ihr untereinander tauschen wollt. Das hat mit Selbstkenntnis, Selbstwert- und Fremdwertgefühl zu tun.
Und ihr trefft euch mit ganz unterschiedlichen Talenten, die ihr einander zur Verfügung stellt, dies mit der gemeinsamen Überzeugung, dass all diese Talente von Bedeutung sind und nicht unterschiedlich bewertet werden sollen, wodurch eine andere Qualität von Beziehung untereinander möglich wird. Ich sehe hier die gegenläufigen Spiralen der Sonnenblume mit dem gemeinsamen Ausgangspunkt in der Mitte. Durch diese Art von Austausch entsteht eine fruchtbare Spannung innerhalb des Netzwerks und zwischen den einzelnen Mitgliedern.
Tauschen am Fluss bietet einen Erfahrungsraum, der es jeder und jedem Einzelnen ermöglicht, dazuzugehören und gleichzeitig sich selbst zu sein, vielleicht sogar ein Stück weit über sich hinaus zu wachsen. Gemäss dem Göttinger Neurobiologen Gerald Hüther ist das eine unabdingbare Voraussetzung, um ein bedeutsames und gesundes Leben zu führen.
Die Buntheit und Lebendigkeit, die ich jedes Mal spüre, wenn ich zu euch an den Fluss komme, ist für mich ein Ausdruck dieser Grundhaltung. Ich hoffe, dass ihr diese Haltung auch in den kommenden fünf Jahren hochhalten werdet, und wünsche euch weiterhin gutes Gelingen – und viele, viele Sonnenblumen!