Ecuador zahlt seine Schulden mit Oel zurück
Stellen Sie sich vor, der See, an dem Sie leben, fällt einem Wasserkraftwerk zum Opfer. Die Ufer werden zubetoniert, die Tier- und Pflanzenwelt verschwindet, kein Baden im See, Spazieren am Ufer oder Besuch im schön gelegenen Restaurant. Sie als Einwohner gehören zu den Verlierern, was Ihre Lebensgqualität angeht. Die gewonnene Energie dient nicht etwa der Bevölkerung, sondern muss ausserland verkauft werden, damit der Staat, in dem Sie zuhause sind, überlebt.
Was für uns – bis anhin zumindest – eine Gedankenspielerei bleibt, ist in anderen Ländern dieser Welt bittere Realität.
Mitten im Regenwald des Yasuni-Nationalparks
Lassen wir uns für einen Moment am Steilufer des Rio Napo nieder. Hier mitten im Regenwald des Yasuni-Nationalparks in Ecuador geniessen wir eine Symphonie von Geräuschen und Farben. Anders die Papageien und Sittiche. Zu Tausenden fliegen sie hierher, um an der Tonerde im Hang zu knabbern. Die enthaltenen Mineralien neutralisieren das Pflanzengift, das die Vögel beim Fressen von Früchten unweigerlich einnehmen. Was ist geschehen?
Seit Generationen nutzen die indigenen Völker an diesem Ort die Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren, ohne sie zu gefährden. Doch ihre Lebensweise im Einklang mit der Natur hat keine Zukunft. Die Ecuadorianische Regierung hat beschlossen, nach Erdöl zu bohren – dies, obwohl der Yasuni-Nationalpark 1989 zum UNESCO-Biosphären-Reservat erklärt wurde.
Die Ureinwohner leiden. «Das Öl wird den Park zerstören – sagt eine Dorfbewohnerin – all das Dynamit für die Bohrungen, die Strassen für die Laster, die Schneisen für die Rohre – so wie es unsere Dorfgemeinschaft zerstört hat. Es hat uns gespalten und aus Freunden und Verwandten Feinde gemacht. Die einen wollen das schnelle Geld, die anderen denken an ihre Kinder und Kindeskinder, die den Preis für die Ausbeutung zahlen werden». Sie sei mit ihrer Schwester und ihren Onkeln zerstritten und wolle trotzdem weiterkämpfen, auch wenn nur wenig Hoffnung bestehe.
Die grosse Last der Staatsschulden
Dahinter steckt System. Das System einer Geld- und Wirtschaftsordnung, die unerbittlich die Einhaltung ihrer Regeln verlangt. Eine dieser Regeln ist, dass Schulden zurückgezahlt werden müssen, wenn man seine Kreditwürdigkeit nicht riskieren will. Und Ecuador schuldet China Milliardenbeträge – rückzahlbar in Erdöl. Der kurzfristige Schaden, den die Volkswirtschaft Ecuadors durch Nichteinhaltung erleiden würde, wirkt bedrohlicher als die Zerstörung von Billionen von Lebewesen, die keinen unmittelbaren Nutzen für das Land zu haben scheinen. Somit hat die Regierung die ersten Konzessionen zur Erdölförderung freigegeben, weitere werden folgen. Sie nimmt dafür die Zerstörung eines für unser aller Überleben notwendigen Ökosystems in Kauf. Und für die letzten indigenen Völker, die ausschliesslich vom Regenwald leben, bedeutet es das absehbare Ende ihrer Existenz.
Ökologische Krisen gehen oft mit einer sozialen Krise einher. Am Beispiel Ecuador sehen wir, dass diese Krisen mit unserem Geld- und Wirtschaftssystem in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Die Zwänge unseres kapitalistischen Geldes lassen es nicht zu, dass Investitionen ohne monetären Gewinn getätigt werden. Das hat sich im Fall von Ecuador in aller Deutlichkeit gezeigt. Die Regierung hatte nämlich vorgeschlagen, auf die Förderung aller Bodenschätze zu verzichten und den Nationalpark unangetastet zu lassen – dies, wenn das Land die Hälfte des Gegenwertes vom Ölvorkommen im Nationalpark erhalten würde. Etwa 350 Millionen Dollar wären das jährlich gewesen, über einen Zeitraum von dreissig Jahren hinweg. In den eigens dafür geschaffenen Fonds wurden gerade mal dreizehn Millionen Dollar eingezahlt. Das lag nicht allein an mangelnder Einsicht oder am fehlenden Willen: Andere Staaten stehen ebenso in der Pflicht, ihre Schulden zurückzuzahlen, und können es sich nicht leisten, solche Beträge zu zahlen, wenn damit keine Rendite erzielt wird.
Die Entscheidung der ecuadorianischen Regierung ist keiner Fehlleistung, Dummheit oder Korruption geschuldet, sondern unabwendbarer Teil dieser Wirtschaftsordnung.
Das Beispiel Ecuador zeigt, wie lokale und globale Systeme aufeinanderprallen und die Menschen in eine Zwangslage bringen. Was sich hinter diesem Dilemma verbirgt und sichtbar gemacht wird, sind die Eigenschaften von Geld und unserem Geld- und Wirtschaftssystem.