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Wenn Münzen miteinander lachen und streiten – Teil 1 – Münzen aus dem Altertum

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Dieses Video folgt der Direktionsassistentin des MoneyMuseums in die Münzsammlung, und zwar zur Vitrine mit Münzen aus dem Altertum. Zu sehen und hören sind hier ein Keilschrift-Täfelchen, ein Krösus-Stater, eine Athener Tetradrachme, ein römischer Denar und ein Solidus, die von ihrem bewegten Leben erzählen und manchmal darüber in Streit geraten.


 

Sprecher: Es ist Nacht, als die Direktionsassistentin des MoneyMuseums die letzte Tür zum Saal «Altertum» aufstößt. Hier liegen die Schätze von der Antike bis zum Fall des Römischen Reiches.Vor einigen Stunden haben die letzten Besucher das Gebäude verlassen. Jetzt ist die Assistentin des Direktors mit ihrem Kontrollgang an der Reihe – wie jeden Abend. Und doch ist diese Nacht eine besondere: Wie eine grosse, weisse Scheibe steht der Vollmond am Himmel. Die junge Frau aber ist in Gedanken ganz bei den Münzen – und bemerkt zunächst nichts. Dabei liebt sie gerade die Vollmondnächte im Museum so sehr. Denn in diesen Nächten erwachen die Münzen des MoneyMuseums zum Leben …

 

Direktionsassistentin: Na, meine lieben Goldstücke, dann ist das ja mal wieder unsere Nacht! (An Vitrinenscheiben klopfend) Aufwachen!Na, wie geht’s dir denn, Keilschrift-Täfelchen?

 

Keilschrift-Täfelchen: (stöhnend) Aaah, guten Abend. Oah, mein armer Rücken! Irgend so ein Trampel ist wieder gegen die Vitrine gestossen und hat mich umgeworfen.

 

Römischer Denar: Das kommt davon, wenn man so einen dicken Bauch hat wie du.

 

Direktionsassistentin: Du kleiner, ewig stänkernder Denar! Nur, weil du aus Rom kommst, musst du nicht denken, dass du was Besseres bist.

 

Römischer Denar: Ach was, uns hat der Schubs nichts aus gemacht. Überhaupt: Das ist doch gar keine Münze, dieses Keilschrift-Täfelchen! Du bist ja nur ein Vertrag auf einer kleinen Tonplatte. Was hast du hier eigentlich zu suchen?

 

Keilschrift-Täfelchen: (empört) Ich bin ...

 

Tetradrachme: Lass mal, Keilschrift-Täfelchen. Dieser unkultivierte Ochse von Denar, der wird’s wohl nie begreifen.

 

Römischer Denar: (eingeschnappt) Ach, Madame Drachme, hochwohlgeboren zu Athen, weiss mal wieder alles besser!

 

Direktionsassistentin: He, mal langsam, nun streitet euch doch nicht! Eigentlich findest du doch die Geschichte vom Keilschrift-Täfelchen auch ganz interessant, oder Denar?

 

Römischer Denar: (brummelig) Ja, schon ...

 

Tetradrachme: Ohne dieses Keilschrift-Täfelchen hätte es uns vielleicht nie gegeben!

 

Direktionsassistentin: (träumerisch) Ach ja, erzähl’s doch noch mal, ich hör die Geschichte so gern.

 

Tetradrachme: (geschmeichelt) Die Keilschrift-Tafel steht für den Handel vor der Einführung des eigentlichen Geldes. Die Kaufleute in Kültepe hielten darauf zum Beispiel fest, wie viel Kupfer sie an einen Handelspartner im Assyrischen Reich lieferten und wie viel Zinn sie dafür im Tausch bekommen sollten. Das war eine ziemlich aufregende Sache damals. Denn die Kaufleute in Kültepe handelten ja nicht wie die babylonischen später im Staatsauftrag, sondern auf eigenes Risiko. Wenn eine Lieferung nicht ankam, konnte sie das ruinieren. Das war manchmal eine ganz schöne Zitterpartie, wenn ein Schiff mit zyprischen Kupferbarren drei, vier Tage überfällig war. Dann ging’s unten im Hafen zu wie in einem Wespennest. In Babylon hätte der König den Verlust mit Hilfe seiner Schatzkammer ausgeglichen. In Kültepe nicht, da traf ein möglicher Verlust ausschliesslich den Händler.

 

Solidus: Kültepe! Kültepe! – Was verflixt noch mal ist Kültepe?!

 

Keilschrift-Täfelchen: Kültepe war um 2000 v. Chr. eine mächtige, wirtschaftlich prosperierende Stadt in Anatolien. Damals hiess sie noch «Kanesch». Das liegt mitten in der heutigen Türkei, westlich von Ankara. Damals, wie gesagt 2000 v. Chr., war Kültepe reich. Vor der Stadtmauer gab es eine Aussensiedlung für Fremde. Da lebten die assyrischen Kaufleute, die dem Lokalfürsten Abgaben und Steuern zahlen mussten. Und von diesen assyrischen Händlern stammen wir Keilschrift-Täfelchen, die der römische Denar so verlacht.

 

Römischer Denar: (brummelig) Ja, ja , ja ...

 

Direktionsassistentin: (aufgeregt auf Stuhl hin und herrutschend) Psst!

 

Keilschrift-Täfelchen: Auf uns wurde alles festgehalten, das irgendwie wichtig war: Verträge zwischen Kaufleuten, Staatsverträge, Zinssätze, Preise, Gewinnspannen, Kreditgeschäfte – sogar Berichte über eine schreckliche Hungersnot, über Mord und Totschlag. Und weil wir so wichtige Dokumente waren, hat man uns natürlich nicht einfach irgendwo hingelegt, wo uns irgendein Strolch hätte stehlen können. Nein, ein grosses Archiv hat man uns gebaut, mitten in Kültepe. In diesem mächtigen Archiv lagen wir fein säuberlich aufbewahrt. Viele Tausend Tafeln waren wir gegen Schluss. Dann aber kam ein Mann, der sich an der Stadt rächen wollte. Er fühlte sich in einem Prozess schlecht behandelt und deshalb schlich er sich des Nachts zum Archiv und zündete es an. Lichterloh brannte das ganze Archiv, die Menschen von Kültepe waren entsetzt, lange fürchteten sie, dass das Feuer auf die umliegenden Häuser übergreift. Aber, das geschah nicht. Dem Kerl allerdings hat sein Rachefeldzug nichts genützt. Denn durch die Feuersbrunst sind wir Täfelchen besonders hart geworden, wir sind ja aus Ton. Im Grunde ist es also diesem Kerl zu verdanken, dass es mich noch gibt und man noch immer lesen kann, was auf mir geschrieben steht.

 

Römischer Denar: (ironisch) Na, was für ein Glück!

 

Solidus: Aber wieso erzählst du immer von Kültepe. Ich denke Babylon war die wichtigste Handelsstadt früher.

 

Direktionsassistentin: Ja genau, Solidus, so kenn ich das auch aus der Bibel – (angegruselt) das Sündenbabel.

 

Keilschrift-Täfelchen: (altklug) Ach Babylon! Das steckte damals ja höchstens in den Kinderschuhen. 2000 v. Chr., da war Babylon noch ziemlich klein, eine unbedeutende Stadt. Ihren ersten Höhepunkt erlebte sie erst unter Hammurabi 200 Jahre später, also 1800 v. Chr. Das biblische Babel, das kam erst viel später, 600 v. Chr.

 

Römischer Denar: (beleidigt) Na toll, bist du also was gaaanz Besonderes! Aber auch auf die Gefahr hin, dass mich die athenische Schnepfe, äh Eule, wieder als Banausen betitelt: Wie kann man ohne Geld überhaupt Handel betreiben?!

 

Krösus-Stater: (jovial) Weisst du, lieber Augustus-Denar, die waren früher auch nicht dümmer als wir. Die haben einfach getauscht: Ware gegen Ware. Irgendwann kam dann jemand auf die Idee, dass man ja auch Waren gegen Metall eintauschen kann. Schon im 3. Jahrtausend v. Chr. gab es gewichtsnormierte Barren aus Gold und Kupfer. Letztlich sind wir Münzen ja auch nichts anderes als gewichtsnormierte Barren aus Gold und Silber, nur dass wir eben rund sind. Das Besondere an uns ist doch letztlich nur die Tatsache, dass wir den Stempel unseres Herrschers tragen, der für unseren Edelmetallgehalt bürgt.

 

Tetradrachme: (liebevoll belehrend) Das mag für dich ja stimmen, mein lieber Krösus-Stater. Aber bei mir ist das doch etwas anders. (Über Vitrinenfläche näher zu Denar rückend) Hier, schau mich an: Für mich bürgt nicht irgendein Herrscher, sondern die Göttin Athene, die Schutzherrin Athens!

 

Krösus-Stater: (erstaunt) Aha!

 

Direktionsassistentin: Ach deshalb trägst du das Bild von Athene?! (Ruckartig vom Stuhl aufspringend und dabei Vitrine betatschend) Oh, jetzt mach ich schon selber die Vitrine schmutzig.

 

Tetradrachme: Ach, macht ja nichts ... Gestempelte Münzen haben eben religiöse Wurzeln. Uns hat man zuerst den Göttern im Tempel geweiht. Und damit die auch wussten, wer ihnen ein so schönes Geschenk gemacht hat, hat man eben ein Symbol aufgeprägt – als Absender sozusagen.

 

Direktionsassistentin: (sich verblüfft wieder auf Stuhl setzend) Ach, und wann war das?

 

Krösus-Stater: Gestempelte, gewichtsnormierte Edelmetallstücke aus Elektron kennt man seit dem 7. Jahrhundert v. Chr. Die ältesten bisher bekannten Münzen stammen aus Kleinasien.

 

Direktionsassistentin: Elektron?! Was soll das denn jetzt wieder sein?

 

Krösus-Stater: Eine Metalllegierung, ein Gemisch aus Gold und Silber. Das kommt auch natürlich vor. Deshalb haben Forscher früher immer geglaubt, das Elektron für die Münzen sei aus solchen natürlichen Vorkommen hergestellt worden. (Grinsend) Jetzt haben sie endlich gemerkt, dass das gar nicht stimmt.

 

Direktionsassistentin: Aber warum haben die denn das wertvolle Gold mit dem viel weniger wertvollen Silber gemischt, um daraus Münzen zu prägen? Das versteh ich nicht.

 

Krösus-Stater: Na ja, die Vorstellung, dass Gold mehr wert sei als Silber, gab es damals noch nicht. Silber war etwas sehr, sehr Kostbares. War ja auch viel schwieriger zu gewinnen als Gold. Silbererz abzubauen und zu verhütten, das Blei rauszukriegen, das war nicht so leicht damals.

 

Tetradrachme: Das hatte ja auch eine metaphysische Komponente: Durch die Mischung von Gold und Silber hat man die Eigenschaften der beiden edelsten Metalle symbolisch miteinander vereint.

 

Direktionsassistentin: Ach! – Und du, Krösus-Stater? Bist du denn aus Elektron? Für mich siehst du ja eher nach Gold aus.

 

Krösus-Stater: (stolz) Bin ich auch! Ich bin sozusagen die erste Goldmünze der Welt!

 

Direktionsassistentin: Wow! – Und warum?

 

Krösus-Stater: Das verdanke ich Krösus, meinem Herrn. Ein genialer Typ! Der hat gemerkt, dass es auf Dauer natürlich sinnlos ist, erst Gold und Silber zu gewinnen, dann beides zu gleichen Anteilen zu legieren. Eines schönen Tages, kurz nach dem Frühstück, hat er sich während einer Diskussion mit seinem Schatzmeister mal wieder sehr geärgert. Der Schatzmeister wollte wissen, wie man die Hekten von Samos am Hof in Lydien bewerten soll. Die Hekten waren Münzen aus Elektron. Da hat Krösus gebrüllt: «Jetzt reicht’s mir aber! Wenn man es fertig bringt, Gold und Silber für Schmuckstücke abzuwägen, dann wird das ja wohl auch für Münzen möglich sein! Ab sofort werden jetzt bei uns Gold und Silber nicht mehr legiert, sondern getrennt vermünzt. Ich hab keine Lust mehr, ständig über den möglichen Wert von Elektronmünzen spekulieren zu müssen. Punktum!» (Schallend lachend) Ihr hättet das Gesicht des Schatzmeisters sehen sollen. Der machte tellergrosse Augen und brabbelte wie vom Donner gerührt vor sich hin. Das brachte König Krösus aber nur noch mehr in Fahrt: «Und wenn wir schon dabei sind», wies er seinen Schatzmeister an, «machst du mir mit dem Münzmeister zusammen bis morgen einen Vorschlag, wie man Silber- und Goldmünzen prägt. Eine vernünftige Gewichtsabstufung will ich auch sehen. Jetzt zeigen wir’s den Anderen mal! Sardis ist ja schliesslich eine reiche Stadt!»

 

Direktionsassistentin: Wer oder was ist denn Sardis?!

 

Krösus-Stater: Sardis liegt knapp 100 Kilometer östlich von Izmir in der Türkei. Damals war Sardis eine der bedeutendsten Städte in Kleinasien. Gerade auch während der Regentschaft von Krösus. So wie es mein Herr befohlen hatte, geschah es übrigens auch. Am nächsten Morgen standen der Schatz- und der Münzmeister vor Krösus und zeigten ihm sich tief verneigend ihre Vorschläge: je eine Münzreihe in Gold und eine in Silber, angefangen vom Stater, wie ich einer bin, bis hinunter zum Ein-Vierundzwanzigstel-Stater. Ihr hättet Krösus sehen sollen. Er strahlte übers ganze Gesicht. Seine Augen glänzten mindestens genauso wie der Vollstater in Gold. Versonnen schaute er die Münzen an und sagte: «Ich glaube, wir haben eine grosse Erfindung gemacht. Das wird in die Geschichte eingehen.» Und Recht hatte er. Denn Krösus hatte damit das älteste Währungssystem der Welt erfunden, oder besser vielleicht: erfinden lassen. Aber die Geschichtsbücher kennen natürlich nur ihn, Krösus.

 

Römischer Denar: Sag mal, dein Herr soll doch wahnsinnig reich gewesen sein, stimmt das?

 

Krösus-Stater: Oh jaaa!

 

Tetradrachme: Na, nun erzähl schon deine Geschichte.

 

Krösus-Stater: (leicht verlegen) Hm, nein, lass mal.

 

Direktionsassistentin: Doch, natürlich!

 

Krösus-Stater: Ach hm ...

 

Tetradrachme: (aufmunternd) Nun mach doch schon.

 

Krösus-Stater: Na ja also, ist schon eine ziemlich wilde Geschichte. Kurz nach der Erfindung des Währungssystems fand Krösus, dass er den Göttern für diesen genialen Einfall danken sollte. Er wollte ihnen ein Geschenk bringen. Krösus schickte also nach einem verlässlichen Gesandten, der nach Delphi fahren und dort im Namen von Krösus opfern sollte. Das war für die damalige Zeit ein sehr weiter und auch gefährlicher Weg von der Türkei nach Griechenland. Aber Krösus wählte Delphi wohl auch deshalb, weil er vor den anderen hohen Herren ein bisschen angeben wollte. Als Opfergabe wählte Krösus natürlich die neuen Gold- und Silbermünzen. Der Gesandte war Alkmeon. Der machte sich auf den Weg nach Delphi und erfüllte seinen Auftrag auch. Als er zurück war, berichtete er, wie sehr die Anderen in Delphi über die neuen Münzen gestaunt hätten. Mein Herr entlohnte ihn strahlend auf seine übliche, grosszügige Art: Er bot Alkmeon an, sich in der Schatzkammer nach Herzenslust zu bedienen. Er dürfe so viel herausnehmen, wie er tragen könne. Das liess sich Alkmeon nicht zweimal sagen. Er kam zur Schatzkammer – an den Füssen viel zu grosse Stiefel mit einem weiten Schaft – ausserdem trug er ein riesiges, weites Gewand. Alkmeon stopfte das Gold mit vollen Händen in seine Stiefel und in sein Gewand. Als da nirgends mehr Platz war, stopfte er sich noch eine Handvoll Münzen in den Mund – (lachend) darunter war auch ich. Als Krösus Alkmeon so aus der Schatzkammer herauswanken sah, ist er vor Lachen fast erstickt. Tränen liefen ihm über die Wangen. Und weil er sich über den unersättlichen Alkmeon so wunderbar amüsierte, liess er ihm gleich noch mal so viel Gold geben, wie er schon auf sich geladen hatte.

 

Solidus: Wow, das nenn ich mal grosszügig!

 

Direktionsassistentin: Und was hat Alkmeon mit dem ganzen Gold gemacht?

 

Krösus-Stater: Der hat erst mal gefeiert. Dann ist er auf den Markt gegangen und hat bei einem persischen Pferdehändler ein paar Stuten und Hengste gekauft. Alkmeon war nämlich ein richtiger Pferdenarr und sein grösster Traum war es, einmal Rennpferde zu züchten. – Bei diesem Handel bin ich übrigens ausgegeben worden.

 

Solidus: Und was hat der Perser mit dir gemacht?

 

Krösus-Stater: Er hat mich nach Babylon mitgenommen.  Eine wunderschöne Stadt, kann ich euch sagen! Wirklich Wahnsinn, was König Nebukadnezar da gemacht hat – die hängenden Gärten! Also, die werd ich mein Lebtag nicht vergessen. All die Blumen und Bäume, die da auf Terrassen wuchsen und blühten – mitten in der Wüste. Und dieses ausgeklügelte Bewässerungssystem. Unglaublich, also ein echtes Weltwunder! Ihr glaubt auch nicht, was da in der Stadt los war: Händler, Kamele, Pferde, alles wuselte durcheinander wie in einem Bienenstock! Es war wirklich die grösste und schönste Stadt der Welt – damals.

 

Römischer Denar: (immer noch etwas brummelig) Entspann dich, Mann. Gibt ja noch andere tolle Städte. Aber was ist dir denn nun in Babylon passiert?

 

Krösus-Stater: Da ging’s mir beinah an den Kragen. Mein alter Herr Krösus war inzwischen von den Persern besiegt worden. Das war anfangs kein Problem. Die Perser benutzten einfach die Krösus-Münzen weiter. Aber dann kam Darius, der neue Grosskönig von Persien. (Erschauernd) Hey, den werd ich nie vergessen. Er meinte, dass das persische Reich eigene Münzen brauche. Er liess alle Münzen im Land einziehen. Säckeweise wurden wir Geldstücke in die Münzstätte gebracht. Ich kam mit vielen anderen zusammen auf eine Waagschale. Aber ich hatte keine Lust, eingeschmolzen zu werden und schliesslich als Dareike zu enden. Also hab ich meine ganze Kraft zusammengenommen, bin aus der Waagschale gesprungen und direkt in eine Ritze im Fussboden gekullert. Da hab ich mich dann versteckt – 2500 Jahre! Dann, eines Abends fanden mich zwei Kinder beim Spielen. Die haben vielleicht gestaunt! Und dann rannten sie mit mir in der Hand los und riefen immer: «Gold, Gold, Mama, wir haben Gold gefunden!» Die Mutter hat auch nicht schlecht gestaunt und schleppte mich zu einem Münzhändler. Der hat mich den Kindern abgekauft und über ein paar Umwege bin ich schliesslich hier im MoneyMuseum gelandet.

 

Direktionsassistentin: Mann oh Mann, was für eine Geschichte! Aber sagt mal, Denar und Tetradrachme, ihr seid doch auch mal eingeschmolzen worden, oder?

 

Tetradrachme: Allerdings!

 

 

 

Direktionsassistentin: Und, ist das schlimm?

 

Tetradrachme: Ach was, alles eine Frage der inneren Haltung. Man darf einfach keine Angst haben, kurz mal Form und Identität zu verlieren. Mit ein bisschen Selbstdisziplin geht das schon.

 

Direktionsassistentin: Was warst du denn früher mal?

 

Tetradrachme: Du meinst, bevor ich eine athenische Eule geworden bin? Ach, da war ich so viel. Grösstenteils war ich eine Drachme aus Abdera, das ist in Thrakien. Das gehört heute zu Griechenland und liegt auf der östlichen Balkanhalbinsel.

 

Direktionsassistentin: Das ist ja ’ne ganze Ecke weg von Athen. Wie kamst du denn dahin – und was heisst überhaupt «grösstenteils»?

 

Tetradrachme: Hast du schon mal was von dem Attischen Seebund gehört?

 

Direktionsassistentin: (unsicher) Jaaa ...

 

Tetradrachme: 480 v. Chr. schafften es die griechischen Stadtstaaten, die Expansion der Perser nach Westen zu stoppen. Damit das dauerhaft so bleibe, schlossen sie ein Bündnis – eben den Attischen Seebund. In diesem Bündnis hatte Athen schnell die Hauptrolle übernommen. Athen war so stark, dass es seine Bündnispartner zu Tributzahlungen verpflichten konnte. Als Tribut kam ich nach Athen. – Und jetzt kommt der Grund für das «grösstenteils» von vorhin: In dem Tiegel, in dem ich geschmolzen wurde, waren auch noch Münzen aus anderen abgabepflichtigen Städten drin: Drachmen aus Mende und aus Akanthos zum Beispiel. Die Orte lagen nicht so weit weg vom heutigen Thessaloniki im Norden Griechenlands. Wir Drachmen sind damals alle zusammen eingeschmolzen worden. Deshalb kann ich auch ein paar Geschichten über Mende und Akanthos erzählen. Mende beispielsweise war berühmt für seinen ausgezeichneten Wein, das war damals ein wichtiger Exportartikel.

 

Direktionsassistentin: Ach, und wie ging’s dann weiter?

 

Tetradrachme: Na ja, die Mitglieder des Seebundes fanden es natürlich nicht so toll, dass Athen immer so viele Steuern von ihnen wollte. Aber sie hatten keine Wahl. Athen war einfach zu stark und wurde immer stärker. Und dann gab es damals in Athen ein paar besonders kluge Köpfe. Die sagten: «Wenn wir den anderen Städten des Seebundes möglichst viel Geld abnehmen und das Geld nach Athen bringen, dann schwächen wir die abgabepflichtigen Städte wirtschaftlich.» Eine «negative Aussenhandelsbilanz» nennt man das heute. Und: Des einen Leid, ist des anderen Freud – Athen profitierte natürlich enorm von dem Aderlass der verbündeten Städte! Da sagten die klugen Köpfe in Athen noch etwas: «Es ist relativ sinnlos, fremdes Geld in Zahlung zu nehmen und zu horten.» Sobald also ein Schiff mit Steuergeldern ankam, wurde alles eingeschmolzen und neu geprägt. Und so wurde auch ich eine dieser athenischen Eulen. Und das war letztlich der Clou: Athen hatte plötzlich eine Unmenge Tetradrachmen wie mich, mit der athenischen Eule drauf. Dieses Geld wurde gezielt im Aussenhandel eingesetzt. Eine Flut von Tetradrachmen mit dem Wahrzeichen Athens überschwemmte die Märkte. Überall tauchte das Geld auf: im persischen Reich, in den verbündeten Städten, in der ganzen Welt! Ein wahrer Propagandafeldzug, der da mit der athenischen Eule betrieben wurde, ziemlich clever. Deshalb spricht man übrigens noch heute davon, dass es unsinnig ist, Eulen nach Athen zu tragen.

 

Direktionsassistentin: Soll das etwa heissen, das Geld wurde zu Propagandazwecken gebraucht?!

 

Römischer Denar: Willkommen in der Realität! Meinst du, Propaganda ist eine Erfindung der Neuzeit? Münzen sind immer zu Propagandazwecken gebraucht worden. Weshalb denkst du denn, hat der alte Krösus sein Wappentier auf seine Münzen prägen lassen?! Doch nur, weil er allen deutlich machen wollte, wer hinter diesem Goldstück steht und wie bedeutend er ist. Weshalb führte wohl Athen seine Schutzgöttin Athene und sein Wappentier, die Eule, auf den Münzen? Und weshalb hat sich Kaiser Augustus auf mir verewigt? Doch nur, um den Untertanen zu sagen, dass die Zeit der Republik um ist und jetzt er, Kaiser Augustus, das Sagen hat! Schau dir doch den Solidus an: Der fränkische König Chlodwig legitimierte seinen Machtanspruch im Weströmischen Reich auch, indem er sich im Münzbild auf den Kaiser beruft. Wir sind der reinste Propagandafeldzug!                                                                            

 

Direktionsassistentin: Unglaublich, da hat sich ja wenig geändert. Heute lassen sich die Politiker eben für die Zeitung oder fürs Fernsehen ablichten. Aber du, Tetradrachme, was ist mit dir dann passiert? Bist du je wieder nach Thrakien gekommen?

 

Tetradrachme: (melancholisch) Nein, ich bin in Athen geblieben. Weisst du, der sechzigste Teil der Steuereinnahmen war immer der Stadtgöttin Athene geweiht. Ich bin als Weihegabe auf die Akropolis in den Athena-Tempel gekommen. War mir auch ganz recht so, nach all der Aufregung – erst die Überfahrt von Abdera nach Athen, dann in den Tiegel. Jetzt hatte ich endlich mal Ruhe und konnte in Anstand und Würde eine wichtige Aufgabe erfüllen. Endlich wurde ich nicht mehr dauernd von gierigen Fingern angegrabscht – was für eine Wohltat! In dem Tempel bin ich über 2000 Jahre geblieben. Erst im 19. Jahrhundert fand mich ein Archäologe. Mit einem kleinen Pinsel hat er mich freigelegt.Das hat gekitzelt! Ja, und dann gab’s noch ein paar Umwege über Sammler und Auktionen, bis ich hier im MoneyMuseum gelandet bin. Hier hab ich endlich wieder meine Ruhe.

 

Direktionsassistentin: Was ist denn mit euch beiden, Denar und Solidus, habt ihr auch solche Abenteuergeschichten auf Lager?

 

Römischer Denar: Na klar. (Überheblich) Ich glaube sogar, dass meine Geschichte alles bisher Gehörte in den Schatten stellt. Wie ist es mit dir, Solidus?

 

Solidus: (gutmütig) Ach, erzähl ruhig, römischer Denar.

 

Römischer Denar: Okay, dann macht euch mal klar für die Abenteuergeschichte quer durch Europa. (Bedeutsam schweigend)

 

Krösus-Stater: Jetzt erzähl doch schon!

 

Tetradrachme: Jetzt lass dich doch nicht so lange bitten!

 

Römischer Denar: Also, wenn ich mich recht erinnere, war ich mal ein silbernes Rhyton. Das ist ein Trinkgefäss gewesen, so in der Form eines Widderkopfs. Als solches stand ich im Tempel zu Delphi und wurde als Ritualgerät eingesetzt. Jahrelang, ach was, Jahrzehnte lang. Dann, eines Tages hallte ein Schrei durch den Tempel: «Die Kelten kommen! Die Kelten kommen! Rette sich wer kann!» (Lachend) Rette sich wer kann! – Wie sollte ich das wohl machen ohne Beine. Na, die Kelten kamen wirklich, das war 279 v. Chr. Und sie haben alles abtransportiert, was nicht niet- und nagelfest war, den ganzen Tempelschatz! Unglaublich! Mich hat irgend so ein Häuptling mit langen Haaren und – (angewidert) Hosen – Hosen sag ich euch, Hosen tragen die! Na ja, dieser Kerl jedenfalls hat mich nach Gallien gebracht. Ein ziemlich raues Land war das. Und nicht mal Wein zu trinken gab’s, nein, Bier und Honigmet haben sie in mich reingeschüttelt. Igitt! Dieses widerlich klebrige Zeug. Eine ganze Weile ging das so, bis nach fünf Generationen jemand auf die Idee kam, einen Teller aus mir zu machen. (Empört) Eingeschmolzen haben sie mich! Mich, ein Meisterstück der mediterranen Silberschmiedekunst! Einfach eingeschmolzen und umgearbeitet zu einer einfachen, unverzierten, keltischen Silberschale. Unglaublich!

 

Keilschrift-Täfelchen: Und dann haben dich die Römer erbeutet und einen Denar aus dir gemacht!

 

Römischer Denar: Langsam, langsam – das Beste kommt erst noch. Also: Ich war eine Silberschale. Habe mich über die Jahrzehnte an dieses schlichte Dasein gewöhnt. Und dann, dann kam er: Julius Cäsar höchst persönlich. Ihr wisst ja, der hat 58 v. Chr. damit begonnen, Gallien zu erobern. Und acht Jahre später war dann auch ganz Gallien besiegt. Und Cäsar tat das, was alle Sieger taten. Er liess plündern, in ganz Gallien, und kassierte ab. Ihr könnt euch nicht vorstellen, welche Reichtümer seine Soldaten weggetragen haben. Gold und Silber in Hülle und Fülle! Wenn Cäsar nicht das gallische Gold gehabt hätte, hätten die ihn in Rom bald abgesägt. Der war doch bankrott und seine Gegner warteten nur darauf ihn abzuservieren. Mit dem Gallienfeldzug hat Cäsar ihnen ganz schön einen Strich durch die Rechnung gemacht!

 

Tetradrachme: Jetzt komm endlich zur Sache, was ist aus dir geworden?

 

Römischer Denar: Ist ja gut, ist ja gut. Also, ich wurde zusammen mit anderen Gold- und Silberstücken vor Cäsar gebracht. In einem von vielen riesigen Haufen lag ich vor ihm. Und Cäsar verteilte die Beute an seine Offiziere. Den Löwenanteil hat er natürlich selber behalten, ist ja klar. So auch mich! Er liess mich zusammen mit ein paar kleinen keltischen Schmucksstücken zum Silberschmied bringen. Dort ist ein wunderschöner Weinbecher aus mir geworden.

 

Solidus: Weinbecher?! Und wann bist du endlich ein Denar geworden?

 

Römischer Denar: Nu’ mal langsam, immer schön der Reihe nach. Also, stellt euch vor. Ich bin jetzt wieder ein Trinkbecher, ein wunderschöner noch dazu. Und ich gehöre zu Julius Cäsars Reisegeschirr. Wohin der grosse Cäsar ging, da ging auch ich hin. Im Oktober 48 v. Chr. hiess es dann: «Auf nach Ägypten, auf nach Alexandria!» (Vertraulich) Wie ihr wisst, hatten der grosse Julius und die schlaue Kleopatra eine ziemlich verrückte Affäre. Meine Güte, die Frau hatte Power! Die wusste genau, dass der Erhalt ihrer Macht nur mit Julius’ Hilfe möglich war. Also hat sie Cäsar umgarnt. Ihr hättet hören sollen, wie Kleopatra säuseln konnte, wenn sie etwas wollte – (lachend) und Cäsar konnte nicht wiederstehen. Er lag ihr zu Füssen. Aber für ihn war Kleopatra mit ihrem unermesslichen Reichtum letztlich auch ein brauchbares Werkzeug, um seine Macht in Rom zu erhalten. Eigentlich haben beide sich gegenseitig für ihre Ziele benutzt. Und was soll ich euch sagen? Bei einem der ersten Treffen der beiden hat Kleopatra aus mir getrunken. Sie setzte ihre zarten Lippen an den Rand des Bechers und trank den kühlen Wein. Und als sie fertig war, schwuppdiwupp, liess sie mich in ihrem Dekolleté verschwinden. Da wär ich am liebsten geblieben. Aber Kleopatra sagte zu Cäsar: «Den musst du dir schon selber wieder holen.» Das liess sich mein Herr natürlich nicht zweimal sagen. – Bin aber trotzdem bei Kleopatra geblieben – bis zum bitteren Ende. Arme, stolze Kleopatra!

 

Direktionsassistentin: (ehrfürchtig) Du warst bei Kleopatra?! Das ist ja Wahnsinn! War sie wirklich so schön, wie alle sagen?

 

Römischer Denar: (gönnerhaft) Nein, nein, nicht wirklich. Aber Charme, Witz und Mut – ja, das hatte sie. Und einen unbeugsamen Willen. Wollt ihr wissen, wie Kleopatra wirklich gestorben ist?

 

Alle Münzen durcheinander: Ja, natürlich! Selbstverständlich! Erzähl schon!

 

Römischer Denar: Als Julius 44 v. Chr. von Brutus und dessen Anhängern ermordet wurde, verlor Kleopatra nicht nur ihren mächtigen Liebhaber, sondern auch den Mann, der ihre Macht und weitgehende Unabhängigkeit gegenüber Rom garantierte. Für diesen Mann brauchte sie unbedingt Ersatz. Und da machte sie einen entscheidenden Fehler: Marcus Antonius und Octavian kämpften um die Macht in Rom. Kleopatra setzte auf Marcus Antonius. Zwei Jahre nach Cäsars Tod trafen sie sich in Tarsus – ein Ort im Südosten der Türkei am Mittelmeer. Ihr hättet sehen sollen, wie Kleopatra den Römer umgarnt hat, der ja eigentlich gekommen war, um sie zur Rechenschaft zu ziehen. In kürzester Zeit frass Marcus Kleopatra aus den Händen. Eine Zeit lang ging dann alles gut: Die beiden heirateten und bekamen viele Kinder. Aber: Der Streit zwischen Marcus und Octavian schwelte weiter. 30 v. Chr. dann kam Octavian nach Alexandria. Er wollte Marcus und Kleopatra besiegen. Wie ihr aus dem schönen Film mit Liz Taylor und Richard Burton ja wisst, war die Lage der beiden aussichtslos. Octavian war schon viel zu mächtig. Trotzdem war Kleopatra noch immer ziemlich gerissen und kaltblütig. Sie liess Marcus Antonius ausrichten, dass sie, Kleopatra, angesichts der drohenden Gefahr Selbstmord begangen habe. Und was tut Marcus, der Trottel? Stürzt sich in sein Schwert und stirbt! Na ja, war vielleicht immer noch besser, als von Octavian im Zirkus den Löwen zum Frass vorgeworfen zu werden ... Als Marcus tot war, schickte Kleopatra nach Octavian. Sie setzte auf ihren Charme, auf ihre Anziehungskraft – warum sollte das, was mit Cäsar und mit Marcus geklappt hatte, nicht auch mit Octavian funktionieren? Aber, die Rechnung ging nicht auf. Octavian brauchte Kleopatra nicht. Als sie das begriff, nahm sie Gift. – (Stolz) Aus mir, hört ihr, aus mir hat die stolze Kleopatra das Gift getrunken!

 

Alle Münzen durcheinander: Das ist ja unglaublich! Du meine Güte! Das glaub ich ja nicht!

 

Römischer Denar: Ja, unglaublich, aber wahr. Der grosse Gewinner war Octavian. Glaubt mir, ohne die Reichtümer Kleopatras, wäre der nie Kaiser geworden. So wie Cäsar sich die Loyalität seiner Heerführer mit dem Gold aus Gallien erkaufte, hat sich sein Adoptivsohn Octavian die Loyalität des Senats erkauft. 27 v. Chr. war Octavian dann soweit: Er erklärte die Republik Rom für beendet und rief das römische Kaiserreich aus. Aus Octavian wurde Augustus. Einen grossen Teil von Kleopatras Schätzen hat er einschmelzen lassen – auch mich. Und so wurde aus mir ein Denar mit dem Bild von Augustus drauf. Ich glaub ja nicht, dass Augustus wusste, dass ich mal Cäsar gehörte, sonst hätte er mich bestimmt nicht einschmelzen lassen. Denn er verehrte Cäsar sehr. Aber was soll’s. Ich hatte ein aufregendes Leben und wäre ich nicht eingeschmolzen und zu einem Denar geprägt worden, wäre ich ja nie hier in diesem Museum gelandet.

 

Direktionsassistentin: Und wie hast du es geschafft, 2000 Jahre zu überstehen, ohne noch mal eingeschmolzen zu werden?

 

Römischer Denar: Ach, nach all den Tragödien hatte ich die Nase voll. Ich wollte nur noch meine Ruhe haben. Meinen Genossen, die auch aus Kleopatras Schätzen geprägt wurden, ging es genauso. So heckten wir einen Plan aus. Als wir gerade aus der Münzwerkstatt kamen und auf ein Schiff verladen werden sollten, da stürzten wir uns Hals über Kopf in den Tiber, die ganze Kiste! (Lachend) Die haben Augen gemacht! Wir wussten natürlich, dass es niemand wagen würde, etwas, was der Flussgott für sich gefordert hatte, wieder raufzuholen. Und so lagen wir da gemütlich im Schlamm des Tibers, alle beieinander, viele, viele Jahre, ganz in Ruhe ... Eines Tages aber kam ein Bagger und der holte uns mit einem Schwung raus. Da machten wir noch mal richtig Furore! Fotografen kamen, Journalisten – und alle wollten uns bestaunen. Das gibt’s ja auch nicht alle Tage, eine Kiste mit prägefrischen Denaren von Roms erstem Kaiser!

 

Solidus: Wow, was für eine Geschichte! Ein Hoch auf unseren Denar!

 

Tetradrachme: Typisch unsere Römer, klopfen sich mal wieder gegenseitig auf die Schultern und vergessen das Wichtigste!

 

Direktionsassistentin: (ironisch) Und was wäre das Wichtigste?

 

Tetradrachme: Dass es den Denar heute noch gibt! Natürlich nicht diesen Haudegen von einem römischem Denar, aber die Währung als solche – und das seit über 2000 Jahren!

 

Direktionsassistentin: Wo bitte gibt es denn heute noch Denare?

 

Tetradrachme: Ich mein ja nicht die römischen Denare, sondern die Nachfahren. Wenn du heute einen Pfennig oder einen englischen Penny in der Tasche hast, dann hast du nichts anderes als einen Nachfahren von unserem Freund hier in der Hand. Und auch unser zweiter Römer hier, der Solidus, hat eine grosse Nachkommenschaft.

 

Solidus: (protestierend) Ich bin kein Römer, hörst du?! Ich bin ein germanischer Solidus aus Gallien!

 

Tetradrachme: Papperlapapp! Du bist ein Solidus und damit bist du ein Römer, ob du’s nun willst oder nicht! Auch wenn deine Prägeherren Germanen waren.

 

Direktionsassistentin: Bevor ihr euch die Köpfe einschlagt: Könntet ihr mir bitte mal erklären, worum’s hier eigentlich geht? Ich verstehe nur Bahnhof.

 

Krösus-Stater: Hör einfach nicht auf sie. Eigentlich ist es gar nicht so schwer: Den Solidus als Münze hat der römische Kaiser Konstantin erfunden. Das war der, der 314 n. Chr. die Hauptstadt des Römischen Reiches von Rom nach Konstantinopel verlegt hatte, das ja heute «Istanbul» heisst. Damals sah das Römische Reich ziemlich desolat aus. Konstantin hat dann viele Reformen durchgeführt und das Reich wieder ein bisschen auf Vordermann gebracht. Und eine dieser Reformen war die Erfindung des Solidus. Der ersetzte den stark abgewerteten Denarius aureus, den Golddenar also. Ursprünglich hiess die neue Goldmünze «Aureus solidus», also «Stabiler Aureus». Aber die Leute haben bald nur noch «Solidus» gesagt, der Einfachheit halber. Der Solidus war etwas leichter als der Denarius. Und er ist dann weiter geprägt worden, auch als sich das Weströmische und das Oströmische Reich voneinander getrennt hatten. Er ist sogar noch weiter geprägt worden, als das Weströmische Reich unter dem Druck der Völkerwanderung völlig auseinander brach.

 

Direktionsassistentin: Aber warum denn? Ich denk, Münzen sind Propagandamittel. Warum haben denn die germanischen Könige denn keine eigenen Münzen geprägt?

 

Krösus-Stater: Jaaa, gar nicht schlecht, aber leider doch am Ziel vorbei. Weisst du, die germanischen Fürsten damals – die West- und die Ostgoten, die Wandalen, die Franken –, die wollten nicht unbedingt das Römische Reich vernichten. Das Römische Reich war etwas, das man bewunderte. Die wollten selber römischer Kaiser werden. Oder anders ausgedrückt: Sie verstanden sich als Rechtsnachfolger des römischen Kaisers. Und deshalb haben sie auch die römischen Münzen weitergeprägt. Es wäre ja ganz einfach gewesen, eigene Münzen zu entwickeln. Aber weil die germanischen Könige sich als legitime Nachfolger des weströmischen Kaisers verstanden, prägten sie eben Münzen im römischen Stil. Beim Münzherrn unseres guten Solidus, also beim fränkischen König Chlodwig, ist das auch nicht anders gewesen.

 

Direktionsassistentin: Und weshalb dann hat König Chlodwig eine Münze im Namen des oströmischen Kaisers Anastasius prägen lassen? Hätte es nicht gereicht, dass er sich als weströmischer Kaiser in Szene setzte?

 

Tetradrachme: Um 500 n. Chr. stand es mit dem Christentum im Weströmischen Reich nicht gerade zum besten. Die meisten Germanen waren zwar Christen, aber sie gehörten zu den Arianern. Die Arianer glaubten, dass Christus nicht Gott ist, sondern ein erschaffenes Wesen, ein göttliches Werkzeug. Im Konzil zu Nicäa sind die Arianer als Häretiker verurteilt worden. Trotzdem waren die meisten Germanen aber Arianer und deshalb geriet die orthodoxe Kirche, sprich die heutige katholische Kirche, immer stärker ins Hintertreffen.

 

Solidus: Ohne meinen Herrn Chlodwig säh’s in Europa ziemlich anders aus. Wahrscheinlich wären wir allesamt Arianer!

 

Direktionsassistentin: Und wie das?

 

Solidus: König Chlodwig hat sich im Jahr 508 taufen lassen!

 

Direktionsassistentin: Wie bitte?! Das gibt’s doch gar nicht! Und dann?

 

Tetradrachme: Nun lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen, Solidus. Jetzt erzähl schon, woher du kommst.

 

Solidus: (gönnerhaft) Ist ja gut, ist ja gut. Also: Wie gesagt, mein Herr, der fränkische König Chlodwig hat sich 508 taufen lassen. Und, wie das damals so üblich war, haben auch Chlodwigs Gefolgsleute den neuen Glauben angenommen. Damit hatte die katholische Kirche auf einen Schlag viel mehr Anhänger. Hier im Westen hat sich Chlodwig natürlich eine Menge Unterstützung für seinen Machtanspruch geholt. Und er hat sich eigentlich schon immer als Rechtsnachfolger des weströmischen Kaisers verstanden. Mit seinem Übertritt zum Christentum wurde Chlodwig auch in den Augen von Anastasius, dem oströmischen Kaiser, plötzlich ein wichtiger Ansprechpartner im Westen. Denn Anastasius war ja auch Christ und Chlodwig hatte eine grosse Zahl kampferprobter Franken hinter sich. Na ja, und der Starke verbündet sich ja gern mit dem Starken. Und weil Anastasius nun von Chlodwigs Übertritt zum Christentum so begeistert war, hat er ihn gleich zum offiziellen römischen Konsul ernannt. Das hat den alten Chlodwig natürlich sehr gefreut, diese offizielle Anerkennung vom grossen Anastasius. Deshalb prägte Chlodwig den Anastasius gleich auf seine Münze. Damit sagte er dann doch allen im Fränkischen Reich: «Schaut mal alle her, ich, der Germane Chlodwig, bin von der obersten Instanz, dem oströmischen Kaiser, anerkannt worden. Mein Führungs- und Machtanspruch ist also von ganz oben abgesegnet.»

 

Direktionsassistentin: Es ist doch immer wieder das Gleiche: alles nur Propaganda!

 

Römischer Denar: Na klar, aber es ist auch schon grotesk: Erst bringen die Germanen das Weströmische Reich zu Fall und dann brauchen sie den oströmischen Kaiser, um selbst Herrscher spielen zu können.

 

Direktionsassistentin: Sag mal, Solidus, hast du eigentlich auch so viele Nachfahren wie der Denar?

 

Solidus: Na ja, nicht ganz. Vor allem nicht hier im Westen. Kaiser Karl der Grosse hat uns bei seiner grossen Währungsreform verboten. Das war im 9. Jahrhundert. Aber im arabischen Raum, da hab ich einen wichtigen Nachkommen: den arabischen Dinar.

 

Tetradrachme: (neugierig) Hattest du damals auch Kontakt zu Arabern? Die waren doch ziemlich lange in Spanien, oder? Bis sie 732 von Karl Martell gestoppt wurden. Warst du da auch dabei?

 

Solidus: Nein, nein, ich bin vorher schon aus dem Verkehr gezogen worden. 508 war ja Chlodwigs Taufe mit der anschliessenden Ernennung zum römischen Konsul. Chlodwig hat das natürlich PR-mässig ziemlich ausgeschlachtet. Er hat uns geprägt und dann seine wichtigsten Gefolgsleute zu einem grossen Gelage eingeladen. Ich sage euch, tagelang ist da nur gefressen und gesoffen worden. Und zum krönenden Abschluss hat Chlodwig seinen Recken je einen Solidus geschenkt. Ich kam zu einem fränkischen Adligen, der hiess Gernot. Ein toller Kerl! Kannte keine Furcht, immer vorne mit dabei, wenn es was zu kämpfen gab. Keinen Fussbreit wäre der vor einem Gegner ausgewichen, hatte aber trotzdem ein weiches Herz. Er hat mich seiner Frau, der schönen Mechthilda, geschenkt. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sie sich über das Geschenk gefreut hat. Mechthilda hat mich schnurstracks zum Goldschmied gebracht.

 

Direktionsassistentin: Was, du bist wieder eingeschmolzen worden?!

 

Solidus: Nee, ganz im Gegenteil! Sie hat mich fassen lassen, hat ’nen Anhänger aus mir gemacht. (Schwärmerisch) Und so hat sie mich dann Tag und Nacht am Busen getragen.

 

Römischer Denar: Alter Schwerenöter.

 

Direktionsassistentin: Ja und dann?

 

Solidus: (seufzend) Ja, dann passierte das Unglück.

 

Tetradrachme: Das Unglück? Welches Unglück?!

 

Solidus: (traurig) Eines Tages schenkte Gernot seiner geliebten Mechthilda ein Pferd. So einen verrückten Renner, einen richtigen Teufel. Aber meine Herrin mochte das und sie musste den Gaul natürlich auch sofort ausprobieren. Sie stieg also auf und los ging’s. Wir flogen nur so dahin im Galopp, über Stock und Stein, durch Bäche, über Felder, immer weiter und weiter. Und dann geschah es – dieser Trottel von einem Goldschmied hatte den Anhänger für mich nicht gut gemacht. Ich sass nicht richtig in der Fassung. Und als Mechthilda noch einmal mit einem beherzten Sprung über einen Graben setzte, da war’s passiert: Ich sprang aus der Fassung und stürzte zu Boden! Mitten rein in den Matsch. Aber damit nicht genug. Hinter Mechthilda kam noch ihr Gefolge, auch alle hoch zu Ross natürlich. Und sie traten mich richtig tief rein in den Matsch. – Nach dem Ausritt muss Mathilda ihren Verlust bemerkt haben. Denn am nächsten Tag ritt sie noch mal die ganze Strecke ab, auf der Suche nach mir. Diesmal aber ganz langsam. Die Tränen rannen ihr übers Gesicht. Aber gefunden hat sie mich natürlich nicht. Ich steckte zu tief im Matsch. Das war ein Tausch! Vom schönen Busen der Mechthilda in den fränkischen Schlamm! Da steckte ich jedenfalls 1500 Jahre, bis mich dann so ein Bauer mit seinem Pflug aus dem Boden holte. Dicke, schwielige Hände hatte der, auch kein Vergleich zu meiner Mechthilda!

 

Römischer Denar: (abfällig) Mechthilda! Mechthilda! – Was ’ne Schwärmerei!

 

Solidus: Ach, halt’s Maul!

 

Tetradrachme: (schnippisch) Genau.

 

Direktionsassistentin: Weisst du, Solidus, es ist doch schön, dass du mal von einer wunderbaren Frau so geliebt worden bist. Das kann dir niemand mehr nehmen. – (Seufzend) Ach ja, meine Lieben, vielen Dank für eure schönen Geschichten. Jetzt muss ich aber mal wieder. Schlaft gut meine Prachtstücke – und bis zur nächsten Vollmondnacht.

 

Alle Münzen durcheinander: Gute Nacht ... Ciao, ciao ... Bis bald ... Eine angenehme Nachruhe wünsche ich ...

 

Direktionsassistentin: (sich entfernend) Gute Nacht! (Tür fällt ins Schloss)

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