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Multatuli (Eduard Douwes Dekker), Max Havelaar oder die Kaffeeversteigerung der Niederländischen Handels-Gesellschaft

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Publiziert von Manesse, Bibliothek der Weltgeschichte, 1965

 

Achten Sie bei Ihrem Kaffee darauf, ob er unter fairen Bedingungen produziert wurde? Wenn ja, dann ist Ihnen Max Havelaar ein Begriff. So heisst die 1992 in der Schweiz gegründete Stiftung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, den Konsumenten zu helfen, Waren zu erkennen, die unter gerechten Bedingungen produziert und vertrieben werden. Der Name für diese Stiftung ist nicht willkürlich gewählt. Max Havelaar ist die Hauptperson eines Romans, der die Einstellung der Industrieländer zur sogenannten Dritten Welt nachhaltig veränderte.

 

1860 erschien unter dem Pseudonym Multatuli – das lateinische Äquivalent für „ich habe viel ertragen“ – die fiktive Biographie eines Kaffeeeinkäufers namens Max Haavelar.

 

Damals war Java eine niederländische Kolonie. Es war in den Besitz des Staates gelangt, weil es der niederländischen Ostindienkompanie nicht mehr gelang, das Land rentabel zu bewirtschaften. Dies zu ändern hatten sich die neuen Beamten auf die Fahnen geschrieben. Sie zwangen die Bauern, auf einem Teil ihrer Felder Zucker und Kaffee anzubauen mit denen die Steuern zu bezahlen waren. Eingesammelt wurden die Güter von Beamten, die nicht pauschal, sondern mittels einer Beteiligung am Steueraufkommen bezahlt wurden. Die schreckliche Folge war, dass die Bauern nicht mehr genügend Lebensmittel anbauen konnten, um satt zu werden. Um ihr Elend zu vergessen, nahmen sie Opium, das von der niederländischen Regierung mit gutem Gewinn eingeführt wurde.

 

Diesen schrecklichen Kreislauf – Armut und Hunger, die zur Sucht führen, Sucht, die grössere Armut und noch mehr Hunger bewirkt – schildert das Buch. Seine literarische Bedeutung gewinnt der Roman durch die mehrfache Brechung des Stoffes: Zunächst erzählt und kommentiert ein selbstzufriedener Pfeffersack mit dem sprechenden Namen Droogstoppel die Geschichte Haavelars. Als er das Interesse daran verliert, übernimmt sein romantisch veranlagter deutscher Lehrling und erzählt die Geschichte aus seiner Perspektive. Erst im letzten Kapitel meldet sich Haavelar selbst zu Wort und durchbricht die Illusion, dass es sich bei diesem Buch um Fiktion handle. Alles sei wahr! Unter diesen schrecklichen Bedingungen würden die Kolonialwaren produziert, die jeder Niederländer in seinem Alltag geniessen würde.

 

Tatsächlich war der Roman äusserst gut recherchiert, denn sein Autor Eduard Douwes Dekker kannte Java aus eigener Anschauung. Er selbst hatte dort als Kolonialbeamter gearbeitet. Als er die korrupten Machenschaften, in welche die oberste Kolonialverwaltung und ein lokaler Machthaber verstrickt waren, publik machte, wurde er unehrenhaft entlassen. Er kehrte nach Europa zurück und publizierte „Max Havelaar“. Das Pseudonym wählte er aus Furcht vor Repressionen.

 

Die Wirkung seines Buches war enorm. Dekker schaffte es, ganz Europa dafür zu sensibilisieren, unter welch menschenverachtenden Umständen die begehrten Kolonialwaren produziert wurden. Und die Kunden reagierten. Die niederländische Regierung sah sich gezwungen, eine Art Wiedergutmachung an den Einheimischen zu leisten. Schulen wurden gebaut. Europäisches Gedankengut kam nach Indonesien und inspirierte die Menschen, Forderungen nach Unabhängigkeit und Demokratie zu stellen. Ein indonesischer Schriftsteller spitzte den Sachverhalt zu, indem er sagte, dass Max Haavelar letztendlich die Entkolonialisierung seiner Heimat zu verdanken sei.

 

Dass die Kritik des Autors an ausbeuterischen Systemen heute noch nicht überholt ist, zeigt die Tatsache, dass den wenigen Marken, die von der Stiftung Max Haavelar als gerecht produziert gekennzeichnet worden sind, eine grosse Mehrheit an Produkten gegenüber steht, über deren Produktionsmethoden wir lieber nicht zu viel wissen wollen. Wir würden uns sonst schämen, sie zu kaufen.

 

Übrigens, 2002 wählte die niederländische Gesellschaft für Literaturwissenschaft Max Havelaar zum wichtigsten Buch, das je in niederländischer Sprache geschrieben worden ist.

 

Ursula Kampmann

Signet Sunflower Foundation