Geld:kritisch – das Verzeichnis
Unter dem Titel «Geld:kritisch» wollen wir von der Sunflower Foundation hier einiges zum Thema Geld beleuchten, einiges, was wir für entscheidend halten. Im Folgenden ein Verzeichnis, was wir unter «Geld» verstehen.
Geld und Material
Materiell gegebene Dinge werden über Jahrtausende für Zahlungen verwendet, die auch Käufe umfassen. Erst mit der Neuzeit aber werden die dafür verwendeten Tauschmittel zu Geld, das nur noch als Tauschmittel dient. So löst sich von jedem Material als „reiner“, immaterieller Zahlenwert – als Wert.
Am Ursprung unseres Geldes liegt nicht der Tausch, sondern die archaische Zahlung: die Überreichung bestimmter Gegenstände zum Ausgleich einer Schuld oder zur Einlösung einer Verpflichtung. Je nach Gemeinschaft und Gelegenheit wurden viele unterschiedliche Dinge zu Zahlungen verwendet. Damit dienten sie jedoch nicht schon zu Geld, mit dem man etwas hätte kaufen können.
Gemeinwesen bestimmen als Norm für Zahlungen regelmässig eine besondere Art von Dingen, in denen alle übrigen Zahlungsmittel nach Wert bemessen werden. Besonders erfolgreich sind dabei Münzen: geprägte Edelmetallstücke in festgelegten Gewichtseinheiten. Erst solche normgebenden Zahlungsmittel finden auch Verwendung als Tauschmittel und insofern als Geld. In dieser Funktion lassen sich Münzen schon verhältnismässig früh durch entsprechende Papiere ersetzen.
Wo das Wirtschaften einer Gesellschaft hauptsächlich auf dem geldvermittelten Austausch von Waren beruht, muss Geldwert nicht mehr selbst in Gestalt von Dingen wie Münzen oder Banknoten auftreten. Ohne materielle Substanz hat er seine Existenzform idealerweise in blossen Daten, als digitales Geld. Bitcoins machen daraus den Ernstfall, dass sie allein per Computer auch geschöpft werden.
Geld und Zeit
Geld, wie wir es kennen, ist ein historisch spätes Phänomen. Wo es aufkommt, wird der gesamte Lebensprozess einer Gesellschaft von ihm abhängig und unterwirft es den gesamten Zeitverlauf einem objektiven Zwang: dass Geld stets weiter als Geld fungieren und stets zu mehr Geld werden muss.
Die frühen Formen von Geld waren während Jahrhunderten nachgeordneter Teil einer Versorgung, die hauptsächlich über Selbstversorgung oder über Verteilung durch die Mächtigen verlief. Das ändert sich erst im Lauf des 16. Jahrhunderts mit dem Entstehen der kapitalistischen Wirtschaft. In ihr hängt die gesamte Versorgung der Menschen notwendig von Geld ab.
In einer Gesellschaft, in der die Menschen für ihr Auskommen zur Hauptsache auf Geld angewiesen sind, müssen sie für das, was sie tun oder herstellen, mehr Geld bekommen als sie dafür aufgewendet haben. Allein diese Notwendigkeit ergibt unausweichlich den Zwang, dass Geld im Zeitverlauf zu mehr Geld werden muss. Geld, von dem eine Gesellschaft lebt, muss als Kapital fungieren.
Mehr Geld, mehr Wohlstand für alle: ein trügerisches Versprechen. Der immense Druck, mit dem Geld zu Arbeitsteilung, aber auch Ausbeutung der Welt zwingt, mag im Durchschnitt zu gehobenem Wohlstand führen. Doch dem wirken nicht nur die Zerstörungen entgegen, mit denen diese Ausbeutung einhergeht, sondern vor allem auch die notwendig steigende Ungleichheit der Verteilung. Die Kapitalfunktion von Geld muss Gewinne dort konzentrieren, wo viel Kapital zum Einsatz kommt.
Geld und Macht
Geld ist Macht: Es ist Verfügungsmacht über die Arbeit anderer. Doch damit diese Macht in jedem Geldschein, jeder Münze und in jeder auf einem Konto geführten Zahl auch anerkannt wird, braucht es dahinter noch eine andere Macht: Staaten, die ihr Gewaltmonopol zur Garantie des Geldes einsetzen.
Eigentum bedeutet nicht grundsätzlich den Ausschluss der anderen. Es gibt einschliessende und ausschliessende Arten von Eigentum mit sehr unterschiedlichen Folgen für den Umgang der Menschen untereinander und mit der Natur. Unser Geld setzt ein Privateigentum voraus, das rigoros alle von allem ausschliesst, wofür sie kein Geld zahlen.
Weltweit sind Menschen gezwungen, etwas zu verkaufen, um zu dem Geld zu kommen, das sie zum Leben brauchen. Was die meisten zu verkaufen haben, ist allein ihre Arbeitskraft und für sie wird nur gezahlt, sofern ihr Einsatz in der Produktion von Waren Gewinn abwirft. Mit dem Geld, das jemand für die so produzierten Waren zahlt, verfügt er also grundsätzlich über die Arbeit anderer.
Keine Münze, keine Banknote, keine Zahl auf einem Konto kann jemanden dazu zwingen, sie als Geld zu verwenden. Es sind die Staaten, von denen dieser Zwang ausgeht und aufrecht erhalten wird: Sie geben Geld als Währung aus und schreiben die Verwendung von Geld gesetzlich vor. Sie selbst alimentieren sich über Geld und hängen davon ab, dass möglichst viel davon in ihrer jeweiligen Währung erwirtschaftet wird.
Geld und Beziehung
Geld setzt die Menschen zueinander in Beziehung als Käufer und Verkäufer von Waren. Wo alles Wirtschaften über Geld bestimmt wird, prägt diese abstrakte Beziehung über Geld nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhang der Menschen, sondern auch ihre privaten Beziehungen, hinein bis ins Innerste.
Geld hat jeden als einzelnen Geldbesitzer zu seinem Bezugspunkt und setzt ihn zugleich in Bezug auf die anonyme Gesamtheit aller anderen Menschen als Geldbesitzer. Dieser abstrakte Bezug formt in jedem eine eigene Instanz von «Ich» als einer gedachten Reinform seines Selbst. In diesem Sinn gibt es das Ich als psychologische Instanz erst seit der Neuzeit und unter der Herrschaft des Geldes.
Jeder Mensch muss tun oder produzieren, wofür andere ihm Geld geben. Aber er tut es nicht für sie, weil er sie kennt, und sie tun es nicht für ihn, weil sie zu seiner Versorgung beitragen wollen. Vielmehr müssen alle je für sich damit zu Geld kommen. Eine auf solche Weise gestiftete Verbindung der Menschen ist keine Gemeinschaft, sondern abstrakte Gesellschaft: ein geldvermittelter Zusammenhang.
Erst mit dem Aufkommen des neuzeitlichen, kapitalistischen Geldes wird die Welt zur Umwelt. Das auf sich selbst bezogene Geldsubjekt sieht sich als ein geschlossenes Innen umgeben von einem gesamten Aussen. Und in dieser Weise behandeln und misshandeln die Geldsubjekte die Welt notwendigerweise tatsächlich: als würden sie nicht zugleich selbst zu ihr gehören.
Geld als Denkform
Vortrag Eske Bockelmann: «Geld als Denkform – der Schlüssel zu verstehen, was Geld mit uns macht».
Geld prägt das Denken der Menschen, indem es sie regelmässig dazu zwingt, sich bewusst nach den Geldzwängen zu richten. Aber es fordert den Menschen auch unbewusst bestimmte Formen des Denkens ab. In der Neuzeit prägt es auf diese Weise nichts Geringeres als Naturwissenschaften und Philosophie.
Geld verlangt es einem jeden ab, Waren zugleich als das jeweilige Ding und als Geldwert zu denken, also rein quantitativ. Das zwingt zu einer Denkform, die sich zu Beginn der Neuzeit besonders deutlich in einer Revolution der Mathematik zeigt: in dem Aufkommen der mathematischen Funktion. Eine Funktion formuliert, egal welchen Inhalt, rein quantitativ in Variablenwerten.
Bedingt durch die geldvermittelte Gesellschaft entsteht die Vorstellung einer in Subjekt und Objekt gespaltenen Welt. Descartes ist zu Beginn des 17. Jahrhunderts der erste, der diese damals neue Vorstellung ausformuliert. Sie deutet die Welt aufgespalten in das Bestimmende, das Geld als Subjekt, und in das von ihm Bestimmte, die Ware als Objekt. Diese Aufspaltung hat im kapitalistischen Geld ihre Wirklichkeit und wird dem Denken zugleich zu einer geldkonformen Deutung der Welt.
So wie wir mit Geld alles und jedes kaufen können, sehen und deuten wir alles und jedes auch in der Form, die es dabei durch Geld annimmt: als Wert unter Werten. In der Form rein quantitativer Werte denken wir auch dort, wo wir uns nicht unmittelbar mit Gelddingen beschäftigen, weil uns diese Denkform als solche zur Selbstverständlichkeit wird. Sie zeigt sich wirksam in unzähligen Anwendungen.
Geld und Tausch
Der Austausch, den Menschen pflegen und auf dem ihre Gemeinschaften ursprünglich beruhen, wird erst durch Geld zu einem Tauschhandel in der Form von Kaufen und Verkaufen. So dominiert zuletzt der Markt jeden Tausch. Unterhalb des Marktes jedoch dauern Formen des Austauschs über Gaben fort.
Weil Geld heute als Tauschmittel fungiert, wird allgemein der Tausch als sein Ursprung angesehen – zu Unrecht. In Gemeinschaften, die kein Geld im heutigen Sinn kennen, hat entscheidende Bedeutung die Überreichung von Gaben. Sie aber dient vornehmlich nicht dem Tausch, sondern hat im Zusammenhang mit anderen Verhaltensweisen den Sinn, eine grundsätzlich gegenseitige Verpflichtung der Menschen einzulösen und zu bekräftigen.
Beim Kauf wechseln Geld und Ware jeweils aus dem Besitz des einen in den Besitz des anderen. Ist dieser Tausch vollzogen, so ist jede Verpflichtung zwischen den Beteiligten erfüllt und beendet. Der Kauf ersetzt das umfassende Verpflichtetsein der Menschen untereinander durch eine einzige Verpflichtung: einem anderen etwas mit Geld zu bezahlen. So ist der Kauf verpflichtende Liquidation und Liquidation der Verpflichtung in einem.
Lange Zeit, bevor es zu «dem» Markt kommt, gab es nur lokale Märkte, die zeitlich und in ihrem Angebot an Waren streng begrenzt waren. Erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts ergibt sich in Europa ein Markt im modernen Sinn mit einem zusammenhängenden Preisbildungsgefüge. Diese Einrichtung, die dann der Marktwirtschaft ihren Namen gibt, geht einher mit der Verwandlung von Geld zum universalen Tauschmittel.
Über Geld hinaus
Wirtschaften ohne Geld – wie soll das gehen? Das wissen wir auch nicht. Aber darüber nachdenken wollen wir. Menschen tun Dinge, beschenken sich, teilen, was sie haben, helfen einander und tragen zum Gelingen von kleinen und grossen Unternehmungen bei – ohne Geld. Sie haben das früher getan, sie tun es heute. Und wie sieht die Zukunft aus?
Die meisten Überlegungen, wie den Schwierigkeiten mit dem Geld beizukommen wäre, richten sich auf das Geld selbst: Sie wünschen es sich krisenfrei. Dementsprechend konstruieren sie in Gedanken ein Geld, das bestimmte Nachteile ablegen würde und auf seine Vorteile eingeschränkt wäre. Andere Ansätze praktizieren alternative Geldkreisläufe unterhalb des regierenden Weltgeldes, die in manchem bereits real von dessen Logik abweichen.
Die Bewegung der Commons setzt der über Geld vermittelten Versorgung eine gemeinsame Teilhabe an Tätigkeiten und grundlegenden Gegebenheiten wie dem Besitz entgegen. Im Kern der Bewegung ist angelegt, dass über das gewollte und gewünschte Gemeinsame allein die Gemeinschaft entscheidet, ohne Bindung an die Zwänge, die mit dem Geld eingerichtet sind.
Wovon die Menschen leben und wie sie es verteilen, müsste grundsätzlich anders geleistet werden als vermittelt über Geld. Soll sich der hohe Grad an Arbeitsteiligkeit bewahren, ist eine Rückkehr zu älteren Formen der Subsistenz ausgeschlossen. Die unter dem Geldzwang extrem gesteigerte Fähigkeit der Menschen, besser und mit weniger Aufwand zu produzieren und das Produzierte genauer zu verteilen als je zuvor, wäre unbedingt zu nutzen – nur anders als mit Geld und seinen Zwängen etwa zu Wachstum und zu einer Produktionsweise, die die Welt zugrunde richtet.